Flüchtlingsunterkunft Weidenweg: Die Schere zwischen Hilfsbereitschaft und Erschöpfung

26.10.2023

Bürgerinfoveranstaltung in der Erlöserkirche: Es gab viele Fragen zu klären

Es war eine kritische, aber unaufgeregte Diskussion – dem sensiblen, komplexen und ernsten Thema angemessen. Am Mittwochabend, 25. Oktober 2023, stellten sich die Hildener Stadtverwaltung – Bürgermeister Claus Pommer sowie seine Beigeordneten Mona Wolka-Ertel (Foto oben), Sönke Eichner und Peter Stuhlträger in der Erlöserkirche den Fragen der anwesenden Bürgerinnen und Bürger zur geplanten Flüchtlingsunterkunft in der Sporthalle am Weidenweg.

 

Viele Menschen grummeln, weil erneut die Stätte für Schul- und Vereinssport geschlossen wird.

Tenor der Versammlung: Ja, wir wollen Flüchtlinge aufnehmen, aber unsere Kapazitäten sind allmählich am Ende.

Außerdem machen sich Eltern und Großeltern Sorgen um ihre Kinder und Enkelkinder, weil sie nicht einschätzen können, "wer da kommt".

Und: Warum sollen die Kinder wieder auf Sport verzichten – nach Corona?

 

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Auch die Verwaltung machte keinen Hehl daraus, dass die Situation nicht angenehm ist. Die Stadt wolle den Schutzsuchenden in der Not helfen: „Wir sehen in erste Linie den Menschen“, so Dezernent Eichner. „Und laut Grundgesetz hat jeder Mensch ein Recht auf einen Asylantrag.“

Dass das Land NRW aber den Kommunen immer mehr Personen zuweist, sieht auch das Hildener Rathausteam als drängendes Problem: „Uns sind rechtlich die Hände gebunden“, so Bürgermeister Pommer.

 

Der Sachstand

Bis September war die Lage noch recht überschaubar, erklärte Sozialdezernent Sönke Eichner. Jetzt aber – mit Blick auf den Winter und die kriegerischen Auseinandersetzungen in Israel und Gaza – werden die Flüchtlingszahlen wieder steigen, so die Prognose.

Von den 867 Plätzen in den Hildener Unterkünften an elf Standorten seien aktuell bereits über 830 belegt – und in den nächsten Wochen folglich ausgeschöpft.

 

Daher werde nun die Sporthalle reaktiviert. Wobei auch klar sei, dass es in den engen Kabinen für rund 100 Menschen keine Privatsphäre geben wird, so Pommer; Konflikte seien zu erwarten.

Sechs Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die Johanniter und diverse Ehrenamtliche werden die Bewohnerinnen und Bewohner betreuen. Ein Sicherheitsdienst solle ebenfalls für einen „geordneten Tagesablauf“ sorgen.

 

Auf die Bearbeitung der Asylanträge und damit die Dauer der Aufenthalte einzelner Personen hat die Stadt Hilden keinen Einfluss; das ist Aufgabe der Kreisbehörden.

 

Doch niemand weiß, wie sich die Weltlage entwickeln wird. Damit die Sporthalle nicht dauerhaft belegt wird, verhandelt die Stadt derzeit mit den Grundstückseigentümern der ehemaligen Wiederhold-Villa auf der Düsseldorfer Straße über einen 20-jährigen Pachtvertrag. Dann könnten dort Wohnmodule für 200 bis 250 Personen errichtet und die Sporthalle wieder frei gegeben werden.

Doch das kann sich noch bis Ende 2024 hinziehen, zum Beispiel wegen EU-weiter Ausschreibungsverfahren, so Dezernent Stuhlträger.

 

Das ist die Sachlage. Für die Anwesenden ergaben sich daraus jede Menge Fragen…

 

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„Die beste von den schlechten Lösungen“

Wer kommt zu uns? Alleinreisende Männer, Kinder oder Familiennachzügler?

„Wir wissen es nicht“, so Eichner. Es wird aber wohl ein Mischung aus verschiedenen Personengruppen sein.

 

Wie steht es um die Sicherheit?

Polizeihauptkommissar Sven Krämer, Wachbereichsleiter in Hilden, erklärte zunächst: Aus Erfahrung habe die Polizei im Kreis „keine Besonderheiten“ bei Kriminalitätsfällen festgestellt, wenn eine Flüchtlingsunterkunft eröffnet wurde. „Das beruhigt mich aber nicht“, wandte ein Bürger darauf ein.

Um das Sicherheitsgefühl zu stärken, solle die Beleuchtung rund um die Sporthalle noch einmal geprüft und ggf. nachgebessert werden.

 

Warum kann sich die Stadt nicht gegen die zunehmenden Zuweisungen vom Land wehren?

Der so genannte „Königsteiner Schlüssel“ regelt, wie viele Menschen einer Kommune zugewiesen werden – und der sei „dynamisch“, so Dezernent Eichner.

Die Rathäuser schlagen seit Monaten bei Land und Bund Alarm. „Sie stehen mit dem Rücken zur Wand, bekommen aber immer noch nicht die Hilfen, die sie brauchen“, wiederholte zuletzt Dr. Eckhard Ruthemeyer, Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW. „Viele suchen händeringend nach Notunterkünften. Die Schere zwischen unseren humanitären Verpflichtungen und den faktischen Möglichkeiten geht immer weiter auseinander.“

 

Nutzt alles nichts: „Wir haben Notsignale gesendet und Brandbriefe geschickt, werden aber einfach nicht gehört“, ergänzte der Hildener Bürgermeister Claus Pommer. „Die Menschen stehen bei uns vor der Tür. Und wir müssen sie versorgen.“

 

Gibt es wirklich keine Alternative zur Sporthalle?

Dies sei „von allen schlechten Lösungen die beste“, sagte Kämmerer und Baudezernent Peter Stuhlträger. Andere geeignete Grundstücke gäbe es gerade nicht.

 

Und was ist, wenn die Verhandlungen mit den Wiederhold-Eigentümern scheitern?

Es gäbe einen Plan B, versicherte Stuhlträger. Details wolle er aus verhandlungstaktischen Gründen aber nicht nennen.

 

Was bedeutet die Unterbringung für den Hildener Haushalt?

Die Stadt ist hochverschuldet, nämlich jährlich rund 20 Millionen Euro. Was wird nun die Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden kosten? Eine Hochrechnung gibt es noch nicht

Und es könnte sogar eine Haushaltssicherung (HASIKO) drohen, so Bürgermeister Pommer. Aber, betonte Kämmerer Stuhlträger: „Das hat dann nichts mit den Flüchtlingen zu tun, sondern mit immer mehr Aufgaben und schwierigeren Rahmenbedingungen vom Bund. Auch ohne die Flüchtlinge wären wir in der gleichen finanziellen Situation.“

 

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Appell: Anpacken und aufeinander zugehen

Viele Anwesende zeigten Verständnis für die Lage, in der sich die Stadtverwaltung befindet. Das mulmige Gefühl bleibt aber: „Wie lange soll das noch so gehen? Und was kommt da noch auf uns zu?“, wurde mehrfach gefragt. Das kann aber jetzt niemand beantworten.


Karl Hubert vom SV Ost appellierte an den Gemeinsinn: „Wir Vereine haben 2015 die Ärmel hochgekrempelt und angepackt.“

Ratsherr Ludger Reffgen (Bürgeraktion) ergänzte: „Angst und Vorbehalte sind keine guten Ratgeber.“ Er habe gute Erfahrungen mit Flüchtlingsarbeit gemacht. Nach einem Nachbarschaftsfest vor einigen Jahren hätte sich „Sorgen verflüchtigt“, denn: „Man muss die Menschen kennen lernen und hinter die Fassade schauen“. Daher seien Verständnis und Offenheit jetzt wichtig.

 

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Bericht: Achim Kaemmerer
Fotos: anzeiger24.de / kahll/Pixabay / Montage: anzeiger24.de

 


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