
Demo gegen „falsche Atteste“ und Ärzte: „Krankfeiern macht pleite“
13.08.2025Onlineshop-Firma protestiert „gegen Missbrauch“ – die anderen Kollegen müssen „mehr schuften“
Normalerweise gehen Gewerkschaften, bzw. Arbeitnehmervertreter medienwirksam auf die Straße, um gegen ihre Arbeitgeber, für mehr Lohn oder „mehr soziale Gerechtigkeit“ o.ä. zu demonstrieren. Am Mittwochmorgen, 13. August 2025, aber traten ein Teil der Belegschaft und die Führung des Hildener Onlineshops SHR Seite an Seite für ein Anliegen ein, das sich an so manche Kolleginnen und Kollegen richtet. Rund 45 Teilnehmer postierten sich vor dem neurologischen Zentrum ZNP an der Walder Straße in Hilden, um auf die „inflationären (Schein)Krankschreibungen“ aufmerksam zu machen, wie die Pressesprecherin der organisierenden Firma ankündigte. Bei der Kundgebung gehe es um „zahlreiche Fälle, die aus Sicht vieler Arbeitgeber und Kollegen überzogen oder unbegründet sind“.
Schwere Vorwürfe gegen Ärzte
Entsprechend waren auch die Verlautbarungen:
- "Falsche Krankschreibungen zerstören Jobs"
- "Krankfeiern macht pleite"
- "Arbeitgeber leiden – Falsche Krankmeldungen vermeiden"
- "Gesundheitsschutz Ja – Missbrauch Nein"
hieß es unter anderem.
Vor allem wurde der Ärzteschaft der Vorwurf gemacht, zu viel und zu oft "falsche Atteste" auszustellen: "Wo bleibt die Kontrolle?" oder "Ihr schützt nicht die Kranken, sondern die Faulen", war zu hören.
Die Folge aus Sicht der Demonstrierenden: Wegen falscher Krankmeldungen müssten die anderen Kolleginnen und Kollegen "mehr schuften".
Außerdem, so erklärt es die Pressesprecherin, hätten Arbeitgeber vor Gericht zu wenig Rechte, um dagegen etwas auszurichten. Dies „bedrohe das Sozialsystem Deutschlands“, denn „steigende Sozialabgaben, Stellenabbau und eine wachsende Unsicherheit für Arbeitgeber und faire Arbeitnehmer“ seien die Folge.
ver.di: „Hohe Krankenstände haben etwas mit Arbeitsbedingungen zu tun“
Diese „Pauschalisierung“ kann Stephanie Peifer, Geschäftsführerin der Gewerkschaft ver.di Düssel-Rhein-Wupper überhaupt nicht nachvollziehen: „Zunächst einmal ist eine vom Arzt ausgestellte Krankschreibung legitim und Realität“, erklärt sie im Gespräch mit der Redaktion.
Den berühmten „kleinen Schnupfen“ oder das „Krankfeiern“ mag es in wenigen Fällen geben, dies mache aber nur einen „verschwindend geringen Anteil“ bei den Krankschreibungen aus.
Außerdem: Auch ein ‚kleiner Schnupfen‘, bzw. krank zur Arbeit zu gehen, das könne später gravierende Auswirkungen haben – auch auf die Arbeitsleistung, meint die Arbeitnehmervertreterin.
Sie sieht die Hauptverantwortung bei der Unternehmensführung, bzw. beim Arbeitgeber: „Hohe Krankenstände haben immer etwas mit schlechten Arbeitsbedingungen zu tun.“ Beispielsweise könnten Überforderung, aber auch Unterforderung oder „sinnentleerte Arbeit“ zu Stress oder psychischen Erkrankungen, bzw. Belastungen führen.
Die Firmenleitung müsse präventiv etwas für die Zufriedenheit am Arbeitsplatz tun, meint Stephenie Peifer. Dazu gehöre auch ein effektives Eingliederungsmanagement für Arbeitnehmer nach einer Krankheit. Der Arbeitgeber solle ein vertrauliches Gespräch über die Arbeitsfähigkeit führen und eine Situation herbeiführen, „dass die Menschen gerne und motiviert wieder zur Arbeit kommen.".
Ärztekammer: Warum es mehr Krankschreibungen gibt
Auch die Ärztekammer Nordrhein will den Vorwurf so nicht stehen lassen.
„Der hohe Krankenstand der letzten Jahre hat multifaktorielle Gründe, die aber nicht in den unterstellen Gefälligkeitsattesten liegen“, erklärt uns die Pressestelle auf Nachfrage. „Hohe Arbeitsbelastung, Fachkräftemangel, eine alterne Gesellschaft und damit einer älteren Belegschaft, aber auch einer Zunahme psychischer Erkrankungen“ seien hier zu nennen.
Die Pressesprecherin verweist auf den Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft
Laut Bundesärztekammer (BÄK) und einer neuen Analyse der Krankenkassen seien auch die Einführung der elektronischen Krankmeldung sowie verstärkte Infektionswellen mit verantwortlich: „Bei den krankheitsbedingten Fehltagen gab es von 2021 auf 2022 (Erfassungen aller Krankschreibungen durch eAU) einen sprunghaften Anstieg um fast 40 Prozent, wie eine neue Untersuchung der DAK-Gesundheit zeigt.“
Außerdem gelte bei der Ausstellung von ärztlichen Attesten, Bescheinigungen, etc. „das fachliche Urteil des jeweils behandelnden Arztes“, heißt es weiter: „Das Wesen der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als allgemeinverbindliche Urkunde rechtfertigt eine besondere Sorgfalt bei ihrer Ausstellung. Aus Sicht der Ärztekammer gibt es keine Hinweise darauf, dass Praxen AU-Bescheinigungen grundsätzlich nicht mit der gebotenen Sorgfaltspflicht ausstellen. Entsprechende Beschwerden sind uns nicht bekannt.“
Allerdings sei zu beobachten, dass Krankschreibung auf Online-Plattformen, bei denen es keinen direkten Arzt-Patienten-Kontakt gibt, zunehmen.
Die Ärztekammer verweist auch darauf, dass Arbeitgeber im Einzelfall und bei begründetem Zweifel an einer Krankschreibung eine gutachterliche Stellungnahme beim Medizinischen Dienst einholen (§ 275 Abs. 1a S. 3 SGB V) können.
***Update***
Auf die Kritik zur Demo reagiert nun wiederum die Firma SHR, die Pressesprecherin erklärt unserer Redaktion:
„Leider handelt es nicht nur um einige wenige Fälle, in denen Mitarbeiter ‚krankfeiern‘ und sich wegen eines ‚kleinen Schnupfens‘ krankschreiben lassen. Es ist durchaus ein größerer und stetig wachsender Teil an Arbeitnehmern, der gerne jede Kleinigkeit vorschiebt, um für ein paar Tage nicht zur Arbeit kommen zu müssen. Dabei handelt es sich keineswegs um leere Vermutungen. Es kam bereits vor, dass Kollegen ihre Krankmeldungen vorher angekündigt haben. Auch habe ich einen ehemaligen Mitarbeiter erlebt, der sich vor Gericht plötzlich bezüglich seiner Krankmeldung selbst widersprach, ins Stocken geriet und dadurch auch den Fall verlor.
Unseren Recherchen zufolge befinden sich die Krankenstände in Deutschland auf einem alarmierenden Höchststand. Und das betrifft jedes Unternehmen, nicht nur unseres. Gäbe es keine Zweifel an dieser brisanten Entwicklung, warum werden dann plötzlich Ärzte vorgeladen, um vor Gericht auszusagen? Dies war jahrelang nie der Fall. Doch seit kurzem hat sich hier etwas getan.
Ist jemand wirklich krank, befürworten wir selbstverständlich, dass er/sie zuhause bleibt, um sich richtig auszukurieren. Nicht nur, um zu verhindern, dass andere Mitarbeiter angesteckt werden, sondern auch, damit der Erkrankte motiviert wiederkommt und erholt seiner Arbeit nachgehen kann.
Natürlich wissen wir, dass das Arbeitsumfeld für das Wohlempfinden der Belegschaft eine sehr große Rolle spielt. Damit sich unsere Mitarbeiter am Standort wohlfühlen, wurde extra eine ‚grüne Oase‘ geschaffen – eine großflächige Grünanlage mit wunderschönen Pflanzen, mehreren Sitzmöglichkeiten sowie einem 3000 Quadratmeter großen Beach Club. Zudem sind regelmäßige Sommer- und Weihnachtsfeiern geplant, die für ein harmonisches Miteinander und ein positives, motiviertes Arbeitsklima sorgen sollen.“
Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: anzeiger24.de
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