''Einrichtungsbezogene Impfpflicht'': Darf der Arbeitgeber ungeimpfte Beschäftigte ohne Lohnzahlung freistellen?

Fachanwältin für Arbeitsrecht Susanne Thomas: Überblick über die aktuelle Rechtsprechung und Handlungsempfehlung

 

***Expertentipp***

Susanne Thomas, Fachanwältin für Arbeitsrecht
 

 

Titelfoto: Demo gegen die Impfpflicht vom 12. März 2022 in Düsseldorf 
Collage: anzeiger24.de / VBlock/Pixabay

 

Seit dem 15. März 2022 müssen u.a. Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind oder tätig werden wollen, über einen Impf- oder Genesenennachweis oder eine medizinische Kontraindikation nach § 22 a Absatz 1 oder Absatz 2 IfSG verfügen.

 

***Update***
Das Bundesverfassungsgericht hat am 19. Mai 2022 die Verfassungsbeschwerden gegen die Nachweis-Pflicht einer Covid 19-Impfung zurück gewiesen. ➤ Mehr dazu...

 

Für die Arbeitnehmer, die in einer derartigen Einrichtung tätig werden wollen, besteht – und zumindest das geht aus der sehr unübersichtlichen Norm klar hervor – ein Beschäftigungsverbot, verfügen sie nicht über die geforderten Nachweise. Aufgrund dieses Beschäftigungsverbotes können sie vom Arbeitgeber freigestellt werden.

Was gilt jedoch für die Arbeitnehmer, die bereits in einer der in § 21 a IFSG genannten Einrichtungen tätig sind?
Meiner Rechtsauffassung nach muss der Arbeitgeber diese Personen beim Gesundheitsamt melden, das sodann zunächst verpflichtet ist, die erforderlichen Nachweise beim Arbeitnehmer anzufordern. Kommt dieser der Aufforderung nicht nach, stehen die weiteren Maßnahmen der Behörde, wie der Ausspruch eines Tätigkeitverbots oder die Verhängung eines Bußgeldes, im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.

Mehr dazu weiter unten.

 

Tatsächlich hat sich aber gezeigt, dass zahlreiche Arbeitgeber bereits Arbeitnehmer ohne Gehaltszahlung freistellen oder gar das Arbeitsverhältnis kündigen, noch bevor eine Entscheidung der Behörde vorliegt. Und dies nach zwei neuen Entscheidungen des Arbeitsgerichtes Gießen (Az. 5 Ga 1/22 und 5 Ga 2/22) auch zu Recht:
So hat das Arbeitsgericht die Anträge eines Wohnbereichsleiters und einer Pflegekraft auf Erlass einstweiliger Verfügungen, gerichtet auf vertragsgemäße Beschäftigung in einem Seniorenheim, zurückgewiesen. Beide Arbeitnehmer sind nicht gegen das Coronavirus geimpft und waren daher ab dem 16. März 2022 ohne Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung freigestellt worden.

 

§20a Abs. 3 Satz 4 IfSG, so das Arbeitsgericht, sehe zwar unmittelbar nur ein Beschäftigungsverbot für ab dem 16. März 2022 neu eingestellte Personen vor.
Dies schließe jedoch nicht aus, dass Arbeitgeber auch bereits beschäftigte Arbeitnehmer, die weder geimpft noch genesen seien und der Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises nicht nachkommen, mit Blick auf die gesetzlichen Wertungen des § 20a IfSG freistellen dürften.
Das Interesse der Bewohner/innen des Seniorenheims an deren Gesundheitsschutz überwiege im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Interesse der Arbeitnehmer an der Ausübung ihrer Tätigkeit. Dieselbe Argumentation sei auch im Fall einer Krankenschwester denkbar, die täglich mit (teils schwer) erkrankten Personen unmittelbar in Kontakt komme.

 

Bedenkliche Unterscheidung zwischen neu eingestellten und bereits tätigen Beschäftigten?

Meiner Rechtsauffassung nach eine sehr bedenkliche Entscheidung, denn die Vorschrift des §20a IFSG unterscheidet offensichtlich zwischen neu einzustellenden und bereits tätigen Arbeitnehmern. Bevor gegenüber den Altarbeitnehmern eine Freistellung wirksam durch den Arbeitgeber ausgesprochen werden kann, muss meiner Rechtsauffassung nach das behördliche Verfahren durchlaufen werden. Dies ist angesichts des erhöhten Grundrechtsschutzes dieser Beschäftigtengruppe gemäß Art. 12 Abs. 1 GG auch erklärlich: So oblagen die Altarbeitnehmer bei ihrer Tätigkeitsaufnahme nämlich noch keiner Berufsausübungsbeschränkung durch ein Immunisierungserfordernis. Weil diese erst nachträglich eingeführt wurde, sind die Anforderungen an ihre Rechtfertigung höher.

 

Die Abwägung kann nicht mehr pauschaliert vorgenommen werden wie bei den neu eintretenden Beschäftigten. Sie bedarf vielmehr einer besonderen Berücksichtigung des bereits erworbenen Vertrauensschutzes in Abwägung mit dem gegenläufigen Schutzinteresse vulnerabler Gruppen im besonderen Einzelfall und unter Einbeziehung der konkreten Tätigkeit. Diese Abwägungsentscheidung hat der Gesetzgeber aber nicht dem Arbeitgeber überantwortet, sondern gemäß §20a Abs. 5 IfSG dem Gesundheitsamt.

 

Wer entscheidet über das Tätigkeitsverbot? Risiko für Arbeitgeber?

Dies hat erfreulicherweise auch in einer ganz neuen Entscheidung vom 29. März 2022 das Arbeitsgericht Dresden so gesehen (9 Ga 10/12): Der Arbeitgeber wurde im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens mit gleichgelagerter Sachverhaltskonstellation zur Beschäftigung verurteilt. Insoweit stellte das Arbeitsgericht zutreffend darauf ab, dass zunächst die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen über ein Tätigkeitsverbot entscheiden müsse.

 

Aber selbst wenn man eine vor Tätigwerden der Behörde ausgesprochene Freistellung durch den Arbeitgeber wegen fehlender Immunisierung dem Grunde nach für zulässig erachten wollte, ist bei der Beurteilung, ob dem Arbeitgeber ein überwiegendes entgegenstehendes Interesse zur Seite steht, die gesetzliche Grundwertung zu beachten, dass bei Bestandsbeschäftigten jedenfalls eine sorgsame Einzelfallbetrachtung vorzunehmen ist, die dann dem Arbeitgeber obliegt.
Hierbei kann die bloße Annahme, dass eine Impfung Fremdschutz gewährleiste, jedenfalls angesichts der aktuellen Infektionszahlen auch bei Geimpften, kaum mehr aufrechterhalten werden.

 

Über die Frage, ob die Vergütung für die Zeit der Freistellung fortzuzahlen ist, hat übrigens auch das Arbeitsgericht Gießen nicht entscheiden müssen. Alle Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten unbezahlt freistellen, setzen sich deshalb exorbitanten Lohnfortzahlungsrisiken aus.

Es bleibt zu hoffen, dass sich der Argumentation des Arbeitsgerichts Dresden weitere Gerichte anschließen werden.

 

Bei Freistellung oder Kündigung: Rechtsberatung empfohlen

Betroffenen Arbeitsnehmern ist angesichts der divergierenden Rechtsprechung und insgesamt unsicheren Rechtslage dringend zu raten, sich gegen ausgesprochene Freistellungen ohne Lohnfortzahlung zur Wehr zu setzen.
Und auch Maßnahmen der Gesundheitsämter sollten nicht widerspruchslos hingenommen werden. Ganz wichtig ist es, schon auf die Anforderung der Nachweise durch das Gesundheitsamt zu reagieren. Hier sollte auch die Situation in der betreffenden Einrichtung genau dargestellt werden, etwa Stellung genommen werden zur Frage des Personalstandes und einer möglichen Unverzichtbarkeit des Mitarbeiters etwa aufgrund besonderer Qualifikationen.

 

Hat Sie ihr Arbeitgeber freigestellt, weil Sie ungeimpft sind? Hat das Gesundheitsamt Maßnahmen gegen Sie erlassen? Haben Sie einen Bußgeldbescheid erhalten?

 

Ich unterstütze Sie gerne.

 

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