Streit um das neue Infektionsschutzgesetz - Jetzt spricht Michaela Noll

22.11.2020

Wir haben unsere Bundestagsabgeordnete befragt: Wie haben Sie die Debatte erlebt?

Es war eine buchstäblich fiebrige Debatte am Mittwoch in Berlin: Der Bundestag und anschließend der Bundesrat haben das neue Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Damit hat die Bundesregierung jetzt - vereinfacht gesagt - eine rechtlich bindende Handhabe, um "nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" und "zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2" strenge Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen, Schließungen von Betrieben und Maskenpflicht zu verordnen. Bislang gab es diese Grundlage nicht, was Verfassungsrechtler stets kritisierten. 

 

Und nun? 

Wir haben Michaela Noll (CDU), unsere Bundestagsabgeordnete für den Südkreis Mettmann, befragt: Wie hat sie die Debatte verfolgt, wie beurteilt sie das Gesetz, und was bedeutet das für ihre Arbeit?

Wir haben ihr einen Fragekatalog (teilweise aufgrund von kritischen Kommentaren aus unserer Facebook-Community DeinHilden, DeinHaan und DeinLangenfeld) zugesendet, den sie uns schriftlich beantwortete. 

 

Haben Sie für das neue Infektionsgesetz gestimmt?
Michaela Noll: Aus gesundheitlichen Gründen war ich nicht in Berlin, aber ich hätte ansonsten für das Gesetz gestimmt.

 

Sowohl Alexander Gauland (AfD) als auch Christian Lindner (FDP) haben bei der Debatte im Bundestag scharf kritisiert, dass mit diesem Gesetz die Grundrechte massiv eingeschränkt werden. Hr. Gauland zitierte sogar eine Aussage von Heribert Prantl (Kommentator der Süddeutschen Zeitung und Jurist), sinngemäß: „Grundrechte heißen Grundrechte, weil sie immer gelten. Ansonsten sind sie wertlos.“ Hr. Lindner sprach sogar von einem „Freifahrschein“ für die Regierung.

Michaela Noll: Ich kann diese unsachlichen Äußerungen überhaupt nicht verstehen.
Wir haben mit dem Bevölkerungsschutzgesetz einen (nicht abschließenden) Instrumentenkasten für die Exekutive beschlossen, ohne im Detail vorzuschreiben, welche Maßnahme wo genau die richtige ist. Denn dazu ist das Infektionsgeschehen zu unterschiedlich, dazu sind die Bedingungen zur Bekämpfung in Millionenstädten, in mittleren Städten, im ländlichen Raum zu unterschiedlich. Wir geben damit aber einen klaren und rechtssicheren Rahmen für das zentrale Mittel der Pandemiebekämpfung: die Beschränkung von Kontakten, um die weitere Übertragung des Virus zu verhindern.

 

Lindner kritisiert außerdem, dass der Inzidenzwert von 50 bzw. 35 gesetzlich jetzt festgeschrieben wird. Dieser sei nur „willkürlich gegriffen“ und „spiegele nur die aktuelle Personalsituation der Gesundheitsbehörden wider“.

Michaela Noll: Dieser Inzidenzwert wird von den Fachleuten empfohlen. Diese Schwellen stellen ein Frühwarnsystem dar, um den Schutz von Leib und Leben und die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems weiterhin gewährleisten zu können. Es hat sich im Sommer auch bestätigt, dass auf dieser Grundlage eine effektive Nachverfolgung stattfinden kann, um eine rasche Weiterverbreitung der Ansteckung zu verhindern.

 

Jan Korte (Die Linke) befürchtet, dass „Akzeptanz in der Bevölkerung verspielt“ werde und dass eine „schleichende Demokratie-Krise“ entstehe.

Michaela Noll: Hier sind die Gründe nicht in der Verabschiedung des Infektionsschutz-Gesetzes als solchem zu sehen, sondern es ist wichtiger denn je, Falschmeldungen und Missverständnissen entschlossen entgegenzutreten. Es sind schwere Zeiten – und wir alle wünschen uns nichts sehnlicher, als so bald wie möglich zur Normalität zurückkehren zu können.

 

Kritiker sagen, das Parlament sei bisher nicht in die Entscheidungen von Bund und Ländern eingebunden gewesen.

Michaela Noll: Die Behauptung ist nachweislich falsch. Der Deutsche Bundestag ist der Maschinenraum unserer Demokratie. Hier kommt alles auf den Tisch, alles kommt zur Sprache. Seit Mitte März haben wir uns allein im Plenum über 70 Mal mit der Corona-Pandemie befasst und dabei rund 30 Gesetze verabschiedet – darunter große Hilfsprogramme mit einem Gesamtvolumen von 1,4 Billionen Euro. Als Bundestag gehört es zu unseren ureigenen Aufgaben, das Regierungshandeln zu kontrollieren und, wo nötig, auch zu korrigieren – alles zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger.

 

Eine weitere Kritik: Mit dem Gesetz können Bund und Länder jetzt für die Pandemie-Bekämpfung „durchregieren“. Das Parlament wird zwar jetzt explizit eingebunden. Aber: Kann es wirklich auch Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz stoppen, wenn es damit nicht einverstanden ist (etwa weil die Maßnahmen „zu weit“ gehen)?

Michaela Noll: Die Behauptung des 'Durchregierens' ist haltlos. Das Bevölkerungsschutzgesetz präzisiert bestehendes Recht und richtet keine Diktatur ein! Wer sich das Gesetz genau ansieht, erkennt, dass die Maßnahmen des Bundes dabei mit der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag außer Kraft treten, ansonsten spätestens mit Ablauf des 31. März 2021. Maßnahmen der Länder gelten grundsätzlich vier Wochen. Sie können verlängert werden, falls dies aufgrund des Infektionsgeschehens notwendig ist. Wir zementieren damit also keinesfalls einen Dauerzustand. Sobald die epidemische Lage von nationaler Tragweite bewältigt ist, wird der Deutsche Bundestag sie auch wieder aufheben.

 

Fühlen Sie sich in Ihrer Funktion als Bundestagsabgeordnete jetzt „gestärkt“?

Michaela Noll: Ich kann keinerlei Gründe erkennen, weshalb ich mich jetzt in meiner Funktion als Bundestagsabgeordnete gestärkt fühlen sollte – nur weil ein neues Gesetz auf den Weg gebracht wurde.

 

Die Regierung hat die Maßnahmen auch veranlasst, weil sonst das Gesundheitssystem überlastet werde.
Dabei war das Gesundheitssystem bereits vor Corona überlastet (Privatisierung der Krankenhäuser, Bürokratie, zu wenig und schlecht bezahltes Personal etc.).

Michaela Noll: Es steht außer Zweifel, dass eine große Zahl von Krankheitsfällen aufgrund einer Corona-Infektion zu einer deutlich höheren Belastung der Krankenhäuser und auch der niedergelassenen Ärzte führt. Die Notwendigkeit zur Nutzung von Intensivbetten und auch Beatmungsstationen ist eine ganz andere.

Wie schon oben erwähnt dienen alle Maßnahmen dem Schutz von Leib und Leben und der Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems. Schließlich müssen die Intensivstationen auch anderen schwer erkrankten Patienten zur Verfügung stehen. Beispielsweise Herzinfarkte und Krebserkrankungen machen keine Pause aufgrund des Virus.

Dass die Pflegeberufe eine höhere Wertschätzung verdienen, ist unbestritten und wurde auch vor der Corona-Krise diskutiert. Deswegen ist es umso erfreulicher, dass die Tarifpartner im öffentlichen Dienst sich auf eine Gehaltserhöhung von 8% geeinigt haben. Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat [am Donnerstagabend im WDR-Fernsehen] gesagt, dass er sich ein Gesetz wünscht, in dem geregelt sei, dass nur Krankenhäuser und Seniorenheime mit der Sozialversicherung abrechnen sollen dürfen, die nach Tarif bezahlen.
Alle im medizinisch-pflegerischen Bereich Tätigen verdienen unseren Respekt und unsere Dankbarkeit. Ich weiß, dass diese Frauen und Männer gerade an ihren körperlichen und seelischen Belastungsgrenzen arbeiten.

Zudem erfahren die Krankenhäuser und stationären Reha- und Vorsorgeeinrichtungen finanzielle Unterstützung. Die sog. „Freihalte-Pauschalen“ für Kliniken sollen zielgenau wieder eingeführt werden: Entscheidend für die Förderung ist, dass die Intensivkapazitäten knapp sind (weniger als 25% frei und betreibbar) und in dem Gebiet die 7-Tagesinzidenz über 70 liegt.
Ausgleichszahlungen sollen insbesondere an Krankenhäuser gehen, die eine Versorgungsstruktur vorhalten, die in besonderem Maße für intensivmedizinische Behandlung geeignet ist. Die Pauschalen werden für 90% der Patientinnen und Patienten gezahlt, die weniger im Krankenhaus behandelt werden als im Durchschnitt des Vorjahres.
Außerdem sollen Rehaeinrichtungen bis zum 31. Januar 2021 wieder als Ersatzkrankenhäuser genutzt werden können, um COVID-Patienten bei Abklingen der Symptome oder andere Patienten zu übernehmen und damit Intensivstationen zu entlasten. Auch für stationäre Reha- und Vorsorgeeinrichtungen wird ein auf zweieinhalb Monate befristeter Rettungsschirm aufgespannt: Übernommen werden die Hälfte der Kostenausfälle orientiert an den durchschnittlichen Tagespauschalen.

 

Noll-Bundestag-Kuppel

 

Es werden Gastronomie-Betriebe, Fitnessstudios, Freizeit- und Kultureinrichtungen etc. geschlossen, obwohl nicht bekannt ist, ob oder dass dort tatsächlich Infektionsherde entstehen.
Bundeskanzlerin Merkel hatte selbst erklärt, zu 75% wisse man nicht, wo die Infektionen her kommen (u.a. Pressekonferenz vom 28. Oktober 2020).
Dabei hatten gerade diese o.g. Stätten strenge Hygienemaßnahmen eingerichtet – jetzt fühlen sie sich „bestraft“.

Michaela Noll: Es gilt, Kontakte grundsätzlich stark zu reduzieren. Wir müssen wieder in die Situation kommen, die Infektionsketten nachhalten zu können. Das bedeutet: „Von vier Kontakten, die wir in normalen Zeiten haben, müssen wir drei vermeiden, um wenigstens einen Kontakt möglich zu machen“, so Kanzlerin Angela Merkel. 

Die Schließung der Gastronomie und Kultureinrichtungen, die ohne Zweifel mehrheitlich sehr gute Hygienekonzepte umgesetzt haben, waren leider unvermeidbar, im Sinne der Kontaktvermeidung und zur Reduzierung des Ansteckungsrisikos. Von Bestrafung kann keine Rede sein. Die Entscheidung hat sich niemand einfach gemacht.

Die außerordentliche Wirtschaftshilfe für den Monat November 2020 bietet eine weitere zentrale Unterstützung für Unternehmen, Betriebe, Selbständige, Vereine und Einrichtungen, die von den aktuellen Corona-Einschränkungen besonders betroffen sind. Die außerordentliche Wirtschaftshilfe hat ein Finanzvolumen von 10 Milliarden Euro.

 

Nächste Kritik: Die Regierung habe einen ganzen Sommer über Zeit gehabt, sich auf die zweite Welle vorzubereiten. Auch der Virologe Christian Drosten hatte im Frühjahr vorhergesagt, dass das Infektionsgeschehen nach einem „milden Sommer“ im Herbst und Winter wieder steigen werde (u.a. NDR Podcast "Corona Update" vom 23. Juni). Aber geschehen ist nichts, zum Beispiel an den Schulen.
Und jetzt musste es also wieder einen Lockdown geben, obwohl der ja eigentlich vermieden werden sollte.

Michaela Noll: Zunächst möchte ich klarstellen, dass dies ja kein absoluter Lockdown ist, von einem Shutdown ganz zu schweigen. Ich erlaube mir einen Blick über unsere Landesgrenzen hinweg. In vielen anderen europäischen Ländern wurden und werden deutlich massivere Einschnitte in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vorgenommen. Dennoch kämpfen diese Länder mit weitaus höheren Infektionszahlen als wir. Daher halte ich die bisher getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung für absolut verhältnismäßig. Die Situation jetzt ist leider darauf zurückzuführen, dass Einige eben doch nicht vorsichtig genug waren beim Umgang mit ihrer Außenwelt. Es ist von der Regierung immer wieder davor gewarnt worden.

  

Was wir oft hören: „Die da oben“ beschließen Sachen, die an der Lebenswirklichkeit vorbei gehen.  Zum Beispiel: Ist es wirklich Menschen zuzumuten, sich nur noch mit 1 festen Person zu treffen?

Michaela Noll: Es handelt sich bei den Kontaktbeschränkungen größtenteils um Empfehlungen. Die Einhaltung dieser trägt zur Verbesserung der Situation bei. Dies ist eine Situation, die für uns alle neu ist. In der Geschichte der Bundesrepublik haben wir uns noch nie so vielen Unwägbarkeiten gegenüber stehen sehen, mussten noch nie so tief gehenden Entscheidungen getroffen werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat es im Frühjahr richtig formuliert: „Wir werden einander viel verzeihen müssen!“ Ich wünsche mir, dass wir weiterhin gemeinsam zusammenstehen, damit Weihnachten niemand alleine ist und zitiere zum Abschluss unseren Fraktionsvorsitzenden Ralph Brinkhaus: „Dieses Land kämpft. Das zeigt sich überall: im Gesundheitswesen, in den Schulen, in den Betrieben und in den Familien. Ich bin stolz auf das, was hier geleistet wird!"

Bleiben Sie gesund!

 

Einleitung und Fragen: A.Kaemmerer

Fotos: Büro Michaela Noll

 


Kein Corona-Beitrag von uns ohne die Bitte: Haltet die Regeln ein.
Und seid auf der Hut!

……

 


Ihr wollt uns Eure Meinung sagen? Gerne per Mail an

oder als Kommentar bei Facebook
unter DeinHilden, DeinLangenfeld oder DeinHaan.

Euch hat unser Beitrag gefallen? Dann liked und teilt ihn gerne.