Wie groß ist der Pflegenotstand in der häuslichen Pflege?

Interview mit Manfred Willems von der Diakonie Sozialstation Langenfeld

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts gab es im Jahr 2016 bundesweit knapp drei Millionen pflegebedürftige Menschen. 2030 könnten es nach Expertenschätzungen bereits 3,5 Millionen sein. Doch schon heute fehlt es an qualifizierten Pflegekräften. Kliniken holen sich mittlerweile ausgebildete Mitarbeiter aus benachbarten EU-Ländern, doch das reicht längst nicht aus. In wenigen Jahren wird aus dem medienträchtigen Schlagwort „Pflegenotstand“ bittere Realität. Das spüren auch die häuslichen Pflegedienste längst. Über die bereits merkbaren Auswirkungen haben wir von anzeiger24.de mit Manfred Willems von der Diakonie Sozialstation der evangelischen Kirchengemeinde in Langenfeld gesprochen.

Vier Fragen - vier Antworten

Herr Willems, wie erleben Sie den Fachkräftemangel in Ihrem beruflichen Alltag?

Wir haben in den letzten 20 Jahren kaum Fluktuation gehabt, so dass wir im Grunde bislang keine Not erlebt haben, solange wir gut besetzt waren. Die Altersstruktur macht uns jetzt aber einen Strich durch die Rechnung. Wir brauchen junges Personal, um unsere Touren flexibel planen zu können und um körperlich anspruchsvollere Aufgaben wie Heben und Betten zu bewerkstelligen. Da möchte ich auch einen Appell an den Gesetzgeber richten: Denn es gibt längst technische Hilfen wie Hebe-Roboter oder sogenannte intelligente Betten. Diese müssten allerdings zugelassen und auch bezuschusst werden. Aber, um auf die Frage zurück zu kommen. Früher haben wir jede Menge Initiativ-Bewerbungen bekommen. Das ist heute nicht mehr der Fall. Wir sind gerade u.a. auf der Suche nach einer stellvertretenden Pflegedienstleitung, da Katja Petzel-Kriegisch aufrücken und die Pflegedienstleitung ihrer in den Ruhestand gehenden Vorgängerin Ursula Jaeger übernehmen wird. Bisher haben wir auf die ausgeschriebene Stelle kein Angebot bekommen. Das heißt, wir müssen jemanden aus unseren eigenen Reihen rekrutieren und selbst vermehrt in Fortbildungen und Ausbildungen investieren.

 

Ist es generell für einen häuslichen Pflegedienst schwieriger als für große Kliniken, gut ausgebildetes Personal zu finden?

Das liegt sicherlich daran, dass der Schichtdienst in den Kliniken geregelter als in der häuslichen Pflege ist, wo die Personaldecke deutlich dünner ist und Mitarbeiter häufiger einspringen oder Dienste tauschen müssen. Ich habe selbst 15 Jahre lang in der LVR-Klinik in Langenfeld in der Verwaltung gearbeitet. Ich weiß, dass auch die Kliniken Probleme haben, qualifiziertes Personal zu bekommen. Nicht zuletzt, weil die tarifliche Auseinandersetzung unterbelichtet ist: Die finanzielle Vergütung steht in keinem Verhältnis zum Geleisteten. 

 

Ja, die pflegerischen Berufe leiden an einem Image-Schaden: Dauerhafte Überlastung, Schichtdienste auch an Wochenenden und Feiertagen, schlechte Vergütung − wie kann man dem entgegen wirken?

Vielen ist nicht wirklich bewusst, was die Pflegekräfte da leisten und wie groß zusätzlich die psychische Belastung in diesem Beruf ist. Dabei vergessen Außenstehende und Entscheidungsträger nur zu gern, dass die Chance selbst betroffen zu werden − ob als Pflegebedürftiger oder als Angehöriger − sehr groß ist. Und die Tendenz ist steigend!

 

Die Regierung hat gerade ein Sofortprogramm eingeleitet: CDU und SPD haben sich auf 8.000 neue Stellen im Klinikbereich und flächendeckende Tarifverträge für die Pflege geeinigt. Auch in der häuslichen Pflege soll etwas geschehen, beispielsweise sollen die Wegezeiten besser honoriert werden. Wird sich damit der Pflegenotstand deutlich verbessern lassen?

Das ist natürlich ein Anfang, aber dass sich damit der Pflegenotstand deutlich verbessern lässt, das halte ich für ein Gerücht. Die 8.000 neuen Stellen sind auf Bundesebene gesehen ein Tropfen auf den heißen Stein. Davon profitieren die häuslichen Pflegedienste nicht. Da muss schon mehr kommen, wie die oben beschriebene Bezuschussung von Hilfsmitteln, damit Pflege Zuhause so gestaltet werden kann, dass sie einfacher und besser funktioniert. Diese für die Betroffenen unbezahlbaren Hilfsmittel lediglich auf Fachmessen vorzustellen, das allein reicht nicht.