Deutscher Ärztetag: Das fordern die Mediziner von der Politik

16.05.2023

Ambulant vor stationär – Krankenhausreform „mit Verstand“ – MVZ schützen – Digitalisierung und mehr…

(ots) Der 127. Deutsche Ärztetag am 16. Mai 2023 in Essen hat den Gesetzgeber in einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss aufgefordert, wichtige Reformen im Gesundheitswesen jetzt umzusetzen.

"Deutschland braucht eine ganzheitliche und nachhaltig ausgerichtete Gesundheitspolitik, in deren konzeptionelle Ausgestaltung der medizinisch-fachliche Sachverstand und das Versorgungswissen der Ärzteschaft einbezogen werden müssen", forderten die Abgeordneten. Nur die „Partizipation der Akteure aus der Versorgung“ ermögliche „praxistaugliche und planvolle Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit“.

 

Auszüge aus dem Beschluss (Wortlaut, leicht bearbeitet und gekürzt)

 

Deutschen Gesundheitsrat einrichten

Der Deutsche Ärztetag 2023 schlägt im Sinne des Ansatzes "Health in All Policies" (HiAP) die Einrichtung eines ressortübergreifenden Deutschen Gesundheitsrats unter Beteiligung der Bundesärztekammer und weiterer Vertreter der Selbstverwaltung sowie der Wissenschaft vor. Der Deutsche Gesundheitsrat bringt sich nach dem Vorbild des Deutschen Ethikrates proaktiv bzw. im Auftrag der entsprechenden Fachressorts in die politischen Prozesse ein.

 

Krankenhausreform mit ärztlichem Sachverstand gestalten

Die Ärzteschaft unterstützt das Ziel einer grundlegenden Reform von Krankenhausplanung und -vergütung [dazu hatte Bundesgesundheitsminister Lauterbach bereits einen Entwurf vorgelegt].

Deutschland braucht eine gut strukturierte, resiliente Krankenhauslandschaft. Dazu sind eine gestaltende Krankenhausplanung und ein echter Neustart bei der Vergütungssystematik und der Investitionsfinanzierung erforderlich. Die Reform muss außerdem die ärztliche Weiterbildung stärken, denn der Faktor Personal ist die ausschlaggebende Größe für die Qualität und die Zukunftsfähigkeit der Versorgung. Die angestrebte Leistungsgruppensystematik muss sich deswegen eng an der ärztlichen Weiterbildungsordnung orientieren. Wenn spezielle, insbesondere weiterbildungsrelevante Leistungen künftig stärker gebündelt und weitere Versorgungsleistungen ambulant erbracht werden, müssen flächendeckende und sektorenverbindende Weiterbildungsverbünde etabliert werden.

 

Ambulante Versorgung stärken

Statt einer ausschließlich auf den Krankenhausbereich fokussierten Reform brauchen wir eine umfassende Gesundheitsreform, die überfällige Neuregelungen auch in anderen Versorgungsbereichen beinhaltet und dem Prinzip "ambulant vor stationär" folgt.


Es ist empörend, dass den in den Arztpraxen und medizinischen Versorgungszentren (MVZ) tätigen Medizinischen Fachangestellten (MFAs) von staatlicher Seite eine Würdigung ihres unermüdlichen Engagements in der Pandemie verweigert und eine Bonuszahlung, wie sie andere Berufsgruppen erhalten haben, bis heute vorenthalten wird. Ein schwerer Fehler war auch die Abschaffung der Neupatientenregelung. Ärztinnen und Ärzte werden damit in ihrem Einsatz für eine gute Versorgung ohne lange Wartezeiten behindert. Diese Fehler müssen korrigiert werden.

 

Die versprochene Entbudgetierung muss schnell und umfassend kommen und darf nicht auf wenige Arztgruppen beschränkt bleiben. Dafür erforderliches Honorar muss zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.

Die Implementierung neuer Versorgungsangebote neben der funktionierenden ambulanten Versorgung lehnt der 127. Deutsche Ärztetag ab. Sofern die Etablierung von Gesundheitskiosken oder der Einsatz von Community Health Nurses zu Parallelstrukturen führen, verursachen diese nur weitere Kosten, neue Schnittstellen und tragen nicht zu einer abgestimmten multiprofessionellen Patientenversorgung bei.

 

Sektorenverbindende Regelversorgung

Eine Reform der Notfallversorgung ist überfällig. Das künftige System der Akut- und Notfallversorgung muss stimmige, patientenorientierte und durch Ärztinnen und Ärzte koordinierte verbindliche Versorgungspfade vorgeben. Es ist richtig, dass nach den Empfehlungen der Regierungskommission dabei im Wesentlichen auf die Vernetzung der prinzipiell funktionierenden und praxistauglichen Strukturen gesetzt werden soll. Die Schaffung von neuen Versorgungsbereichen oder Doppelstrukturen wäre hingegen kontraproduktiv.

 

Unabdingbar ist die Einbeziehung des Rettungsdienstes in einen ganzheitlichen Reformansatz.

Grundlegend ist außerdem eine effektive IT-Vernetzung aller Akteure mit definierten Schnittstellen und Datensätzen.
Notwendig ist auch die Bereitschaft zu neuen Wegen in der Versorgung, etwa durch die verstärkte Nutzung von telemedizinischen Ansätzen und ein ärztliches Dispensierrecht im ärztlichen Bereitschaftsdienst.
Bei der weiteren Ausgestaltung der Reform sind die Ärztekammern als Körperschaften, die alle Sektoren abbilden, integral einzubinden.

 

MVZ als sinnvolle fachübergreifende Versorgungsform gestalten – Einfluss von Fremdinvestoren begrenzen

Patientinnen und Patienten können in MVZ von der Vernetzung zwischen den Fachgebieten profitieren. Der Gesetzgeber muss diese sinnvolle Versorgungsoption vor einer investorengesteuerten Kommerzialisierung bewahren.
Die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen gegenüber kommerziellen Fehlanreizen muss abgesichert werden. Einer Fokussierung des Versorgungsangebotes auf besonders lukrative Leistungen, die sich zulasten einer patientenzentrierten und zuwendungsorientierten Versorgung auswirken würde, muss entgegengewirkt werden. Die aus Solidarbeiträgen aufgebrachten Mittel für die Patientenversorgung müssen vor einem Abfluss in internationale Finanzmärkte geschützt werden. Der 127. Deutsche Ärztetag unterstützt die von der Bundesärztekammer vorgelegten Regulierungsvorschläge für investorenbetriebene MVZ (iMVZ).

 

Digitalstrategie umsetzen

Mit der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen hat die Bundesregierung zumindest ein erstes grobes Zielbild gezeichnet, wie sich die Digitalisierung in diese Richtung weiterentwickeln soll. Die konkrete Ausgestaltung zentraler Vorhaben, wie die Opt-out-Regelung für die elektronische Patientenakte (ePA), bleibt jedoch vage. Das Vertrauen der Patientinnen und Patienten auf einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren Daten setzt Transparenz und praktikable Möglichkeiten zum Widerspruch voraus.
Für die Etablierung weiterer digitaler Anwendungen bedarf es einer mit den Akteuren aus der Versorgung entwickelten Roadmap der gematik mit realistischen Planungsannahmen und priorisierten medizinischen Anwendungen.

 

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Der 127. Deutsche Ärztetag fordert zudem, die Digitalisierungsstrategie durch umfassende Kommunikationsmaßnahmen zu flankieren. Bis heute ist der überwiegende Anteil der Bevölkerung nicht über die Anwendungen der Telematikinfrastruktur informiert (eNotfalldaten, eMedikationsplan, eRezept, ePatientenakte).

 

GOÄ-Novelle unverzüglich einleiten

Die Bundesärztekammer hat dem BMG im Januar 2023 gemäß Beschluss des 126. Deutschen Ärztetages 2022 ein vollständiges Konzept für eine moderne, rechtssichere und transparente Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) mit arztseitig betriebswirtschaftlich kalkulierten Preisen übergeben und den Verordnungsgeber erneut aufgefordert, tätig zu werden. Getan hat der Minister seither – nichts.
Der Bundesgesundheitsminister muss jetzt tätig werden und die Reform der GOÄ unverzüglich einleiten. Arbeitsverweigerung ist keine Option!

 

Nachwuchsförderung 

Der 127. Deutsche Ärztetag ruft die Bundesländer dazu auf, die Zahl der Medizinstudienplätze an staatlichen Hochschulen um bundesweit 6.000 zu erhöhen.

Eine grundsätzlich neue Approbationsordnung und damit die Modernisierung der ärztlichen Ausbildung, die auf der Approbationsordnung aus dem Jahre 2002 beruht, ist überfällig.

Das Medizinstudium muss digitaler, interprofessioneller, vernetzter und praxisnäher ausgerichtet werden und auch die Vorgaben des Masterplans Medizinstudium 2020 berücksichtigen. Erforderlich sind ferner angemessene Rahmenbedingungen für das Praktische Jahr (PJ), insbesondere in Form einer verpflichtenden Aufwandsentschädigung und einer angepassten Fehlzeitenregelung.

 

Gesundheitsförderung statt Cannabis-Legalisierung

Die Deutsche Ärzteschaft fordert eine politische Strategie, wie Verhaltens- und Verhältnisprävention im Rahmen eines Health-in-All-Policies-Ansatz gestärkt und Gesundheitskompetenz in allen Lebenswelten gefördert werden kann.
Zu einer präventionsorientierten Politik gehört auch und zuerst die Unterlassung von Gesetzesmaßnahmen, die der Gesundheit der Bevölkerung und besonders junger Menschen weiteren Schaden zufügen. Deswegen fordert der 127. Deutsche Ärztetag 2023 die Bundesregierung nachdrücklich auf, von ihren Plänen zu einer Cannabis-Legalisierung Abstand zu nehmen und stattdessen konsequent auf eine umfassende Suchtprävention zu setzen.

 

Quelle: Bundesärztekammer / Dezernat Politik und Kommunikation

Foto: G.Altmann/Pixabay

 


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