Flüchtlingsgipfel: 1 Milliarde mehr für Länder und Kommunen – sonst nur Absichtserklärungen

Vollständige Einigung mit dem Bund zieht sich wohl bis in den Herbst hinein

Dass es beim lang ersehnten „Flüchtlingsgipfel“ zu der einvernehmlichen Lösung kommen würde, war kaum zu erwarten. Dafür waren die Position und Forderungen der Bundesländer und Kommunen zu weit von der Bereitschaft des Bundes entfernt.

Viele Städte und Gemeinden wissen nicht mehr, wo und wie sie immer mehr Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten unterbringen und versorgen sollen und können (hier ein Beispiel aus Hilden in NRW).

Sie verlangen u.a. mehr Geld, weniger Bürokratie, schnellere Asylverfahren, bessere Integrationskonzepte und mehr Raumkapazitäten.

Nun also haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten am 10. Mai in Berlin noch einmal zusammengerauft und nach Kompromissen gesucht.

Die wichtigsten Ergebnisse des Treffens (die detaillierte Abschlusserklärung gibt es hier):

 

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Bund und Länder einigten sich auf folgende Eckpunkte

Beschleunigte Asylverfahren

Bund und Länder halten frühzeitige Registrierungen und eine anschließende schnelle Weiterleitung der Asylsuchenden zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für notwendig. Eine Asylantragstellung soll künftig binnen zwei Wochen und eine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge binnen vier Wochen erfolgen.


Schnellere Rückführungen in die Herkunftsländer

Ankömmlinge, die kein Bleiberecht besitzen, sollen in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden müssen. Dies betreffe vor allem „straffällig gewordene Geflüchtete und Gefährder“. Bund und Länder einigten sich darauf, dass gesetzliche Regelungen, die Abschiebungsmaßnahmen verhindern oder erschweren, anzupassen sind. Fortdauer und Anordnung von Abschiebungshaft solle unabhängig von etwaigen Asylantragstellungen möglich werden, auch bei Folgeanträgen. Die Länder werden weiterhin Abschiebungshaftplätze in ausreichender Zahl einrichten und vorhalten.

 

Die Bundesregierung werde sich auf europäischer Ebene „konsequent dafür einsetzen, dass sämtliche aktuelle Reformvorschläge zum europäischen Asyl- und Migrationspolitik bis zur Europawahl 2024 geeint werden“. Damit soll „eine solidarische Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit zwischen den EU-Staaten sowie bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren und bei der Integration in den EU-Staaten erreicht“ werden.

 

Die Bundesregierung werde darauf drängen, die „irreguläre Sekundärmigration innerhalb des Dublin-Verfahrens zu reduzieren“. Asyl müsse in dem Staat beantragt werden, in dem der EU-Raum erstmals betreten wird. Dadurch sei gewährleistet, dass ein Antrag innerhalb der EU nur einmal geprüft werden muss.

 

Die Bundesregierung wolle sich mit den anderen europäischen Länder „für einen wirksamen Außengrenzschutz und den Ausbau von Grenzschutzkapazitäten und einer zielführenden Grenzschutzinfrastruktur zur Bekämpfung irregulärer Migration“ einsetzen.

 

Digitalisierung der Ausländerbehörden voran treiben

„Wo immer möglich“ sollen Online-Zugangswege geschaffen werden, um Arbeits¬prozes¬se so „schnell wie möglich und so umfassend wie möglich zu automatisieren“, den „Datenaustausch medienbruchfrei“ zu gestalten und die Speicherung und Weiterverarbeitung von Daten in „einheitlichen Standards“ umzusetzen. Um dies zu erreichen, sei eine vollständige Überführung der lokalen Ausländerdateien in das Ausländerzentralregister erforderlich.

 

Mehr Geld für eine „angemessene Unterbringung, Betreuung und Integration“ der Geflüchteten

Eine zusätzliche Flüchtlingspauschale in Höhe von 1 Milliarde Euro im Jahr 2023 für die Länder und Kommunen. In diesem Jahr habe der Bund bereits „etwa 15 Milliarden Euro an Kosten aufgewandt“, erklärte Kanzler Scholz.

 

Darüber hinaus verständigten sich Bund und Länder darauf, …

  • die Verfahren zur Verteilung und Registrierung von neuankommenden Geflüchteten zu überprüfen, um vereinbarte Quoten einzuhalten.
  • eine bessere Ausstattung der Verwaltungsgerichte für asyl- und aufenthaltsgerichtliche Verfahren vorzusehen.
  • die Unterbringung der Geflüchteten durch gesetzliche Änderungen im Bauplanungsrecht und Vergaberecht zu erleichtern.
  • die Ausländerbehörden für ihre Aufgaben angemessen personell und finanziell auszustatten und Prozesse und Verwaltungsverfahren kritisch auf Optimierungspotenziale zu überprüfen.
  • eine bundesweite, krisenfeste Integrationsinfrastruktur zu schaffen, die Integration von Anfang an ermöglicht.


Klingt zunächst nach allgemeinen Absichtserklärungen – und eigentlich wurden auch keine neuen Erkenntnisse präsentiert. Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte dürfte wohl mehr interessieren, wie dies alles konkret, real und vor Ort umgesetzt werden soll.

Doch dafür brauchen sie wohl noch etwas Geduld.

 

Denn diese Entscheidungen sind noch nicht endgültig: „Der Bundeskanzler und die Länderchefs werden Ende November 2023 über die weitere Entwicklung entscheiden“, erklärt die Bundesregierung. „Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe wird diese Entscheidung vorbereiten. Bei der regulären Zusammenkunft Mitte Juni 2023 wird der Kanzler mit den Ländern den Zwischenstand erfassen.“

 

Reaktionen auf die Beschlüsse

Wie erwartbar gibt es reichlich Kritik an den Ergebnissen:
So erklärte beispielsweise Städtetags-Präsident Markus Lewe gegenüber der Rheinischen Post: „Dieses Treffen war für uns unterm Strich eine ziemliche Enttäuschung." So sei die zugesagte zusätzliche 1 Milliarde Euro des Bundes für dieses Jahr nicht das, was die Städte bräuchten: „Alle paar Monate einen fixen Betrag zugeschoben zu bekommen, das hilft uns bei steigenden Flüchtlingszahlen nicht weiter.“

Bund und Länder hätten die letzten Wochen und Monate nutzen müssen, „um gemeinsam eine Lösung zu finden, statt sich jetzt wieder bis Juni zu vertagen. Das ist ein schlechtes Signal an die Städte.“
Man werde nun weiter auf der Wartebank sitzengelassen, „obwohl der Druck vor Ort Tag für Tag steigt und. Das sorgt für viel Frust“, so der Städtetagspräsident in der RP.

Zugleich betonte Lewe, die zugesagte zusätzliche Milliarde solle außerdem teilweise für die Digitalisierung der Ausländerbehörden eingesetzt werden: „Da bleibt dann weniger für Unterbringung und Integration. Und wie viel von dem Geld am Ende bei den Kommunen ankommt, wissen wir noch nicht.“

 

Dr. Eckhard Ruthemeyer, Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW forderte – ebenfalls in der RP – bereits vor dem Gipfel: „Die Städte und Gemeinden sind längst am Limit und benötigen konkrete Lösungen. Nicht in ferner Zukunft, sondern jetzt. Alle Prognosen gehen von weiter steigenden Flüchtlingszahlen aus. Ohne eine sichere Finanzierung können die Gemeinden keine menschenwürdige Unterbringung für den nächsten Winter und darüber hinaus organisieren, ohne eine sichere Finanzierung bleibt Integration dem Zufall überlassen.

Geld allein wird nicht reichen. Vielerorts steht kein Wohnraum mehr zur Verfügung und die Flüchtlingszahlen steigen. Die Kommunen sind am Ende ihrer Möglichkeiten. Der Bund muss darum Zuwanderung endlich effektiv regulieren und auf die Aufnahme der tatsächlich Schutzbedürftigen beschränken. Alles andere gefährdet auf Dauer den sozialen Frieden.“

 

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz, hat das Bund-Länder-Treffen zur Flüchtlingspolitik als "Gipfel der verpassten Chancen" bezeichnet.

Die CSU-Politikerin erklärte im rbb24 Inforadio, die 1 Milliarde sei mehr "ein kleines Zeichen", aber: "Was die Kommunen eigentlich gefordert haben, ist Planungssicherheit in der Finanzierung, gerade auch, was den Integrationsbereich angeht - und ist eine deutliche Verringerung des Zustroms der irregulären Migration, und gerade für diese beiden Punkte fehlte es gestern an echten Lösungen."
Lindholz forderte den Bund auf, die Kommunen so auszustatten, dass sie die Probleme vor Ort lösen könnten.
"Wenn wir die Integrationsleistung der Menschen, die jetzt schon zu uns gekommen sind, nicht erbringen, dann bekommen wird hier in absehbarer Zeit großen Sprengstoff, gesellschaftlichen Sprengstoff, in unserem Land, und das muss in erster Linie angegangen werden. Den Bürger interessiert es nicht, auf welcher Ebene welcher Euro verteilt wird..., die Kommunen brauchen für die schwere Aufgabe, die... sie sich nicht ausgesucht haben, dringend mehr Unterstützung - und da müssen wir zur Not auch an anderer Stelle einsparen. Aber so können wir das definitiv nicht in unserem Land weiterlaufen lassen."

 

Bericht: Achim Kaemmerer

 


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