
Die Corona-Protokolle: Hat Lauterbach das RKI ausgebremst?
27.11.2024Enthüllung von ARD, NDR und SZ: Gab es doch politische Einflussnahme auf die Risikobewertung?
Seit dem Ende der Corona-Pandemie fordern viele Menschen, dass es endlich einmal eine Aufarbeitung zu den politischen Entscheidungen und verordneten Maßnahmen geben soll. Das haben viele beteiligte Politikerinnen und Politiker von damals bis jetzt weitgehend abwenden können. Was bisher offen gelegt wurde, sind die Covid-19-Krisenstabsprotokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI). Hier kann jeder nachlesen, was wann bei den Krisentreffen besprochen wurde. Dafür muss man sich aber durch mehrere tausend Seiten wühlen.
Der Rechercheverbund von ARD, NDR und Süddeutsche Zeitung hat nun etwas tiefer gegraben: Interne E-Mails aus dem Februar 2022 sollen nun belegen, dass RKI das damals vorherrschende Corona-Risiko von „sehr hoch“ auf „hoch“ heruntergestuft werden sollte. Dann hätten möglicherweise einige Schutzmaßnahmen gelockert werden können. Genau das aber habe der frisch gekürte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (der sich bereits vor seiner Wahl als allzu fürsorglicher und übervorsichtiger Dauer-Mahner einen bundesweiten Ruf erarbeitet hat) verhindert, enthüllen die Journalistinnen und Journalisten.
"Herabstufung ist das falsche Signal"
In der Nacht zum 3. Februar 2022 habe der damalige RKI-Präsident Lothar Wieler geschrieben: „Lieber Herr Lauterbach, wir haben gestern im Krisenstab die Risikobewertung besprochen." Die „Krankheitsschwere“ von Omikron falle geringer aus als bei Delta.
Der Minister habe daraufhin geantwortet: „Die Herabstufung der Risiko-Bewertung halte ich für problematisch." Die Fallzahlen seien immer noch sehr hoch, daher sei die Herabstufung „insbesondere vor dem Treffen der Ministerpräsidentenkonferenz das falsche Signal“.
Es folgten laut der Recherche weitere Mail-Wechsel. Doch Lauterbach blieb demnach hartnäckig. Ende Februar 2022 wurde in einem RKI-Protokoll vermerkt: „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt.“
Die tagesschau berichtet: „Im Robert Koch-Institut war man offenbar zunehmend verärgert über den Minister. Was sollte man machen, wenn der Minister die Herabstufung, die man selbst für richtig und angemessen hielt ‚verwehrt‘? Im Krisenstab wurde diskutiert, das ‚sehr hoch‘, einfach von der Website zu nehmen, verwarf dies aber als ‚sehr eskalierend‘.“
Es vergingen Monate. Am 20. April 2022 startete Wieler einen neuen Anlauf: „Die aktuell positive Entwicklung der Pandemie führt glücklicherweise dazu, dass wir die Risikobewertung anpassen“, hieß es in einem Schreiben an das Bundesgesundheitsministerium. Erst Tage später sei vermerkt worden: „Warten auf Rückmeldung des BMG. Grundsätzlich ist Minister einverstanden, meldet sich aber noch einmal.“
Am 5. Mai 2022 schrieb Wieler an Lauterbach: „Ich gehe davon aus, dass wir die Risikobewertung heute online stellen falls wir bis 12 Uhr heute keine gegenteilige Information erhalten.“ Da Lauterbach immer noch nicht geantwortet hatte, beschloss das RKI, die neue Risikobewertung zu veröffentlich, allerdings „ohne mediale Ankündigung / Begleitung“.
"Pandemie-Gefahr unterschiedlich beurteilt"
Hat es also politische Einflussnahme auf das RKI während des Corona-Krisenmanagements gegeben – was Kritiker immer behauptet, die Politik aber stets abgestritten hat?
Auf Anfrage des Rechercheverbundes habe das RKI geantwortet, dass es der Fachaufsicht des Gesundheitsministeriums unterstehe: „Risikobewertungen beruhen auf wissenschaftlichen Kriterien, können aber nicht als grundgesetzlich geschützte Wissenschaft verstanden werden." Sie „liegen am Übergang zum Krisenmanagement“, für das letztendlich das Ministerium verantwortlich sei.
Auch Gesundheitsminister Lauterbach wird in dem Bericht zitiert: „Wenn aus dieser wissenschaftlichen Arbeit politische Schlüsse gezogen werden müssen, dann ist es meine Aufgabe, das zu tun."
Für das Investigativ-Team von ARD, NDR und SZ steht fest, dass „Wieler und der Gesundheitsminister die Pandemie-Gefahr damals unterschiedlich beurteilten. Während Wieler sich in der Bundespressekonferenz Anfang Februar 2022 ‚optimistisch‘ gab und erkannte, dass sich mit Omikron die Lage grundsätzlich änderte, blickte Lauterbach vor allem auf die hohe Zahl der Infizierten, die Patienten auf den Intensivstationen und die Todesfälle.“
Hat diese Recherche nun einen Stein ins Rollen gebracht?
Was wird wohl noch enthüllt?
Es wird endlich Zeit für eine Aufarbeitung, damit sich gerade die „Schwurbler“ und „Verschwörungstheoretiker“ nicht bestätigt fühlen können.
Bericht: Achim Kaemmerer
Quelle: tagesschau
Foto: tumisu/Pixabay
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