Lützerath wird geräumt: Eskaliert die Situation?

Polizei und Anti-Kohle-Initiative bekämpfen sich wegen eines leer stehenden Dorfes

Die Menschen aus Lützerath im Kreis Heinsberg haben schon lange ihre Heimat verlassen – damit RWE dort seinen Tagebau einrichten kann. Doch Klimaaktivistinnen und -aktivisten wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Häuser obendrein noch abgerissen werden und damit der Aushub der Kohle beginnt.

Seit Monaten schon stehen sich deshalb Polizei und die Besetzerinnen und Besetzer gegenüber.
Wie soll dieser Konflikt nun enden?

 

Ab Mittwoch, 11. Januar, soll die Polizei Aachen das Dorf endgültig räumen. Es wird mit harten Auseinandersetzungen gerechnet.

Dirk Weinspach, Polizeipräsident von Aachen, befürchtet u.a., dass für die Beamten Barrikaden und Fallen aufgestellt und mit Steinen fliegen werden. Aber auch für die Aktivistinnen und Aktivisten sei der Kampf nicht ganz ungefährlich, erklärte er auf einer Pressekonferenz am 9. Januar. Die Kante am Tagebau sei nicht befestigt, daher drohe ein 40 Meter tiefer Absturz.

 

Weinspach selbst steht auch im Visier der Anti-Kohle-Bewegung, weil er Mitglied der Grünen ist. Doch hier verweist er auf sein Amt: Als Polizeipräsident sei er nunmal seinem Dienstherrn verpflichtet. Daher werde er sich an die offizielle Rechtslage halten und die Interessen des Staates vertreten – ungeachtet seiner politischen Überzeugung.

Das Wichtigste sei nun, dass die Sicherheit „aller Beteiligten gewährleistet“ werde.

 

Tage zuvor hat er bereits in einem offenen Brief erklärt: „Deshalb setzen wir auf Deeskalation und Teams zur kommunikativen Unterstützung der eigenen Kräfte und zur Vermeidung von eskalierenden konfrontativen Einsatzsituationen ein. Unser erstes Einsatzmittel ist und bleibt das gesprochene Wort. Unsere Kommunikationsbeamtinnen und -beamten haben den Auftrag, brisante Situationen – soweit möglich – schon im Vorfeld zu entschärfen. Wir werden Zwangsmittel nur einsetzen, wenn es im Sinne eines verhältnismäßigen und konsequenten Einschreitens oder zur Verfolgung von Straftaten nicht anders möglich ist. Ich appelliere vor diesem Hintergrund an unser polizeiliches Gegenüber, an Besetzerinnen und Besetzer, Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, keine unverantwortlichen Risiken heraufzubeschwören oder einzugehen. Ich appelliere, den Protest gegen eine Räumung nicht mit der Begehung von Straftaten zu verbinden.“

 

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Angriffe auf Polizei am Wochenende

Dieser Appell hat jedoch nicht ganz gefruchtet: Bereits am Sonntag, 8. Januar, eskalierte eine Protestveranstaltung, wie die Polizei Aachen berichtet: Rund 2000 Menschen haben demnach an einem Dorfspaziergang sowie einem Konzert teilgenommen. „Ohne erkennbaren Grund schlug die friedliche Stimmung in eine feindselige Atmosphäre um“, heißt es weiter. Es sollen sich nur noch rund 300 Personen dort aufgehalten haben. „Es kam zu Steinwürfen gegen Sicherheitskräfte und Polizeibeamte, Sachbeschädigungen und Eigentumsdelikten. Die Kommunikationskräfte der Polizei Aachen wurden beim Versuch der Vermittlung angegriffen. Eine friedliche Veranstaltung, in der die Polizei äußerst zurückhaltend agierte, ist ohne nachvollziehbaren Grund in Gewalttätigkeit umgeschlagen. Die Polizei appelliert nochmals an die Aktivisten in der Ortslage Lützerath, sich von Straftaten zu distanzieren und sich friedlich zu verhalten.“

 

Außerdem gab es in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Nordosten von Lützerath einen Wassereinbruch in den Tagebau: „Aus einer ehemaligen Hauptleitung spülten im unmittelbaren Bereich der Tagebauböschung erhebliche Mengen Wasser das Erdreich der Abraumkante in den Tagebau. Der Grund für die Flutung des stillgelegten Rohres ist aktuell Gegenstand von Ermittlungen. Ein technischer Defekt erscheint nach ersten Einschätzungen eher unwahrscheinlich.“

 

Man kann sich also ausmalen, welche Szenen sich ab Mittwoch nun abspielen werden.

 

„Lützerath lebt“ will „Klimahölle“ verhindern

Die Dorf-Besetzerinnen und -Besetzer von „Lützerath lebt“ lassen sich nicht beirren. Sie sind fest entschlossen, sich „den Abrissarbeiten in den Weg zu stellen", sagt Aktivist Lakshmi Thevasagayam: „Ich kann es nicht fassen, wie hier mehrere Hundertschaften und schwerste Geräte aufgefahren werden, um uns immer weiter in die Klimahölle zu treiben. Lützerath ist kein Symbol. Hier ist so viel Kohle im Boden, dass damit die von der Politik selbst gesteckten Klimaziele nicht erreicht werden. Wie kann die Politik und die Polizei für den Profit weniger und gegen das Überleben von so vielen Menschen sein?“

 

Dina Hamid ergänzt: „Seit Jahren haben wir alles versucht: Unterschriften gesammelt, auf Demonstrationen protestiert, an der Seite der Wissenschaft an die Politik appelliert. Doch wir rasen weiter auf das Überschreiten von Kipppunkten zu, deren Auswirkungen niemand mehr kontrollieren kann. Klimaschutz heißt schon lange nicht mehr nur das Licht hinter sich auszuschalten, sondern dass Millionen Tonnen Kohle im Boden bleiben, wie im Hambacher Forst. Dafür werden wir kämpfen.“

 

Und dabei sehen sich die Klimaaktivistinnen und -aktivisten weiterhin im Recht.

Den Kompromiss der „Grün geführten“ Wirtschaftsministerien der Bundregierung und Landesregierung NRW mit dem Konzern RWEdie Kohle unter Lützerath wird abgebaggert, dafür wird der schlussendliche Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorgezogen – akzeptieren sie nicht.

Sie stützen sich unter anderem auf ein Gutachten des – eher „links“ gerichteten – Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW) aus Berlin. Demnach sei die „Stromversorgung auch ohne russische Energielieferungen und trotz Atomausstiegs sicher – Kohleausstieg 2030 machbar“.

Außerdem sehen Verfassungsrechtler den §48 des Bundesgesetzes zum Kohleausstieg (KVBG) – mit dem die Räumung des Dorfes begründet wird – als „verfassungswidrig“ an, „da der Bund nicht die Gesetzgebungskompetenz in der Sache habe und da §48 mangels wissenschaftlicher Grundlagen ‚evident unsachlich‘ sei“.

Ein bizarrer Streit also – und es ist unklar, wie dieser Konflikt gelöst werden kann. Hier wird sicherlich keine Seite nachgeben…

 

Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: Initiative „Lützerath lebt!“

 


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