Industriestandort Deutschland retten: Geht Habecks neue Strategie auf?

Was plant der Bundeswirtschaftsminister? Und was sagt die Branche dazu?

Der Industriestandort Deutschland ist gefährdet, heißt es immer wieder in Medienberichten und in der Branchenszene. Etwa wegen der Energiekosten-Explosion, des Fachkräftemangels oder der Bürokratie.

Das will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nun ändern und hat am 24. Oktober 2023 eine „neue Industriestrategie“ vorgestellt. Unter dem Motto „Industriepolitik in der Zeitenwende: Industriestandort sichern, Wohlstand erneuern, Wirtschaftssicherheit stärken“ will Habeck „Deutschland als starken Industriestandort in seiner ganzen Vielfalt erhalten. Vom Weltkonzern über die mittelständischen Hidden Champions bis zum Kleinbetrieb. Von der energieintensiven Grundstoffindustrie über den Maschinen- und Fahrzeugbau bis zur Raumfahrt.“

 

Wie soll das gelingen?

Das Konzept sieht u.a. vor:

  • beschleunigter Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Stromnetze und der Wasserstoffindustrie und -infrastruktur

  • Erneuerungsoffensive für Schiene und Brücken und Straßensanierung

  • Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung

  • steuerliche Anreize für Investitionen und für die Entlastung von Wirtschaft und Industrie in einem Umfang von 50 Milliarden Euro

  • Fachkräftesicherung und -einwanderung durch ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz

  • Reduktion der Abhängigkeiten von Autokratien durch Diversifizierung, z.B. durch neue Handelsabkommen und Rohstoffpartnerschaften

  • neue, eigene Produktionskapazitäten in kritischen Bereichen (z.B. Mikrochips und Transformationstechnologien)

  • Bedarf an Rüstungsgütern selbst decken

  • Emissionshandel und CO2-Grenzausgleich CBAM ausweiten

  • Umfassendes Dekarbonisierungspaket für die Industrie

  • Entlastungen von kleineren und mittleren Unternehmen durch den Wegfall der EEG-Umlage

  • Brückenstrompreis für die energieintensive Industrie

  • Abbau der Bürokratie und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren

  • Auszahlung des Arbeitgeberbeitrags zur gesetzlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherung nach Erreichen der Regelaltersgrenze direkt an die Arbeitnehmer

  • steuerlicher Freibetrag für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte oberhalb der Regelaltersgrenze

  • Flexibilisierung des fixen Beendigungszeitpunktes in Arbeitsverträgen bei Erreichen der Regelaltersgrenze

     

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BDI: „Klares Bekenntnis zur Industrie“

Und was sagt die Branche dazu?
Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) äußert sich recht positiv: „Als deutsche Industrie stehen wir voll hinter dem klaren Bekenntnis des Wirtschaftsministers zur Industrie als Basis des Wirtschaftsstandorts Deutschland und als notwendiger Motor für Innovationskraft und Transformation. In der Industriestrategie werden die Stärken, aber auch die zentralen Schwachstellen klar benannt. Wir teilen die Einschätzung, dass uns insbesondere die harte geoökonomische Realität strategisch unter Zugzwang bringt.“

 

Eine Unterbrechung der Wertschöpfungsketten „hätte gefährliche Folgen für die Sicherung nachgelagerter Wertschöpfungsstufen. Das würde den Standort, seine Arbeitsplätze und seine Exportfähigkeit schwer beschädigen. Dazu darf es nicht kommen.“

 

Nun müsst aber auch Taten folgen, so Russwurm: „In der Energiepolitik brauchen wir Klarheit, wie genau ein wettbewerbsfähiges Energiesystem der Zukunft aussieht. Gleichzeitig brauchen wir aber auch rasche Umsetzungen: Von der Kraftwerksstrategie über die Entlastung bei den Strompreisen, die Einführung eines Brückenstrompreises bis hin zur Fortführung des Spitzenausgleichs über das bevorstehende Jahresende hinaus sind die Themen alle in der Strategie genannt. Hier brauchen wir schnell eine Konkretisierung.“

 

Er erwartet außerdem „große Schritte“ beim angekündigten Bürokratieabbau und der vorgesehenen Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren.

„Die deutsche Industrie bietet dem Wirtschafts- und Klimaschutzminister und der Bundesregierung ihre Zusammenarbeit zur weiteren Konkretisierung und praxisgerechten Umsetzung der Industriestrategie an“, erklärt Russwurm.

 

IW: „Problem erkannt , aber politische Kraft ist erschöpft“

Hubertus Bardt, Geschäftsführer im Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), ist allerdings nicht ganz so euphorisch: „Mit der neuen Industriestrategie stellt Robert Habeck unter Beweis, dass er die Sorgen der Unternehmen in Deutschland versteht und ernst nimmt. Und dennoch scheint sich der Vizekanzler, vom Koalitionsstreit zermürbt, vor konkreten Schritten zu scheuen – der ganz große Befreiungsschlag ist die Strategie nicht.“

 

Bardt lobt das „Bekenntnis zur Industrie als Kern der deutschen Wirtschaft“ und dass der Bundeswirtschaftsminister „verstanden hat, dass es in Anbetracht des Strukturwandels ohne staatliche Hilfen nicht geht. Er sieht auch die weitergefassten Probleme, etwa die geopolitischen Risiken, vor denen Deutschland steht.“

 

Der BWL- und VWL-Professor befürchtet aber auch, „dass sich die politische Kraft der Regierung erschöpft hat – es fehlen konkrete Ableitungen. Immerhin hat Habecks Haus verstanden, dass Deutschland zu hoch besteuert – einen Vorschlag, wie eine Steuerreform aussehen könnte, bleibt es aber schuldig. Wie sich eine Reform finanzieren lässt, wird nur angedeutet, und auch Habeck scheint den Streit um die ‚heilige Kuh‘ der Schuldenbremse meiden zu wollen. Beim Industriestrompreis bleibt es beim einsamen Vorschlag des Wirtschafsministeriums, die Regierung kann sich auch nach Monaten nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Dabei drängt gerade hier die Zeit.“

 

Wie eine Förderung der Transformation aussehen soll, die zielgerichtet wirkt und Dauersubventionen vermeidet, müsse „jetzt dringend geklärt werden“, so Bardt: „Zusätzlich muss die Koalition sich auf eine Wirtschaftspolitik festlegen, die den Unternehmen in der Breite zugutekommt, die Wettbewerbsbedingungen im Strukturwandel verbessert, aber Anreize erhält. Habecks Industriestrategie zeigt: Gerade in diesem Punkt ist die Ampel sich nicht grün, Deutschland könnte der nächste längliche Koalitionsstreit bevorstehen. Die deutsche Wirtschaft braucht zügig klare Signale.“

 

Zusammenstellung: Achim Kaemmerer
Foto: R.Vetterie/Pixabay

 


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