Ein Jahr „Zeitenwende“-Rede: Was ist mit den 100 Milliarden für die Bundeswehr?

Aufrüstung zieht sich – Verteidigungsminister: „Geld reicht nicht“

Das war heute vor einem Jahr, am 27. Februar 2022, eine große Überraschung für die meisten: Jahrelang wurde die Bundeswehr bei der Ausstattung und Modernisierung vernachlässigt – der „kalte Krieg“ galt schließlich als überwunden. Und plötzlich wurde der Regierung mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine bewusst, dass eine funktionstüchtige Armee vielleicht doch sinnvoll wäre.

In einer Sondersitzung des Deutschen Bundestags hat daraufhin Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet: „Der Bundeshaushalt 2022 wird einmalig mit einem Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Modernisierung der Streitkräfte ausgestattet. Die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht erklärte dazu: „Wir brauchen eine gut ausgerüstete und leistungsstarke Bundeswehr. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro wird es uns ermöglichen, die Bundeswehr stark aufzustellen und als verlässlicher und leistungsfähiger Bündnispartner unsere angemessene Rolle in der Allianz zu übernehmen.“

 

Nun also ist ein Jahr ins Land gezogen. Der Krieg tobt unerbittlich weiter. Was ist bisher aus der Ankündigung geworden?

 

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Regularien und Gesetze bremsen das Tempo

Es ging wohl sehr schleppend voran. Das liegt unter anderem an der bürokratischen Organisation in der Bundeswehr. Und auch die Politik legte kein besonderes Tempo vor. Erst Mitte Dezember legte das Ministerium dem Haushaltsausschuss erstmals Projekte vor, berichtet beispielsweise die tagesschau: „Mehr als acht Milliarden Euro für F-35-Kampfflugzeuge [sollen beschafft werden]. Die sollen die Jahrzehnte alten Tornado-Maschinen ablösen. Doch dafür ist noch kein Euro ausgezahlt. Schließlich, so erklärte es Arne Collatz, der stellvertretende Sprecher des Verteidigungsministeriums, sei man ‚an die Regularien und Gesetze gebunden‘. Man dürfe also erst zahlen, wenn die Leistung erbracht ist. Heißt übersetzt: Das dauert noch Jahre.“

Und alleine die ersten acht von den 35 F-35-Kampfmaschinen könnten frühestens ab 2026 ausgeliefert werden, heißt es in dem Bericht weiter: „Ab dann folgen im Jahresrhythmus weitere Tranchen – bis 2029. Arne Collatz vom Verteidigungsministerium nennt das diplomatisch ‚Zeiträume, derer es für Rüstungslieferungen eben bedarf‘".

 

Pistorius fordert mehr – Ampel-Kollegen sind skeptisch

Und auch Verteidigungsminister Boris Pistorius fordert mehr. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte der Nachfolger von Christine Lambrecht: „Die 100 Milliarden werden nicht reichen“.

Mit jedem neuen System würden neue Unterhaltungskosten, also neue und höhere laufende Kosten entstehen.

 

Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), hatte zudem eine Aufstockung des Sondervermögens auf 300 Milliarden Euro engeregt.

 

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Michael Müller dagegen hat sich im Gespräch mit nd.DerTag / nd.DieWoche zurückhaltend zur Forderung seines Parteikollegen und Verteidigungsministers Boris Pistorius geäußert: „Aus Sicht des Verteidigungsministers ist das nachvollziehbar. Aber der Bundeskanzler hat das 100-Milliarden-Paket durchgesetzt und dieses Geld muss jetzt erst einmal bei der Truppe ankommen", so der frühere Regierende Bürgermeister von Berlin.

Geld sei endlich. „Wir sind nicht nur in einem militärischen Konflikt, sondern weltweit auch in einer Energie- und in einer Nahrungsmittelkrise, in der wir helfen und auch hier in Deutschland mit den Folgen umgehen müssen. Deswegen sollten wir klug überlegen, wo wir das Geld einsetzen. Ich plädiere dafür, erst einmal seriös mit den 100 Milliarden Euro umzugehen und dann zu sehen, was die Bundeswehr noch braucht“, erklärte Müller.

 

Und der Außenpolitik-Experte der Grünen, Jürgen Trittin, ist ebenfalls skeptisch: „Man muss für die Herausforderungen in Sachen Sicherheit viel Geld ausgeben", sagte Trittin im rbb24 Inforadio. Er betonte aber, dass dies nicht nur für das Militär gelte, sondern auch für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Wenn man von einer „Zeitenwende“ spreche, müsse man sich die Frage stellen, ob die notwendigen Ausgaben durch Kredite oder zusätzliche Einnahmen finanziert werden könnten.
Er halte nicht viel davon, sich übermäßig zu verschulden: „Die Zeitenwende muss auch im Finanzministerium ankommen.“

 

Bericht: Achim Kaemmerer
Quellen: SZ, Bundesregierung, ZDF, ARD, rbb, nd.DerTag
Foto: Daniel Borker/Pera Detlic / Pixabay

 


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