Bundesverfassungsgericht kippt Triage-Regelung: Bund hatte keine Gesetzgebungskompetenz
04.11.2025Fachärzte hatten geklagt: Unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat am heutigen Dienstag, 4. November 2025, die im Infektionsschutzgesetz (IfSG) neu eingeführte Triage-Regelung (§ 5c IfSG) für nichtig erklärt. Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe entschieden mit 6 zu 2 Stimmen, dass der Bund für diese Regelung nicht zuständig war. Damit greift das Gericht in ein zentrales Kapitel der Pandemiegesetzgebung ein – und überlässt die Verantwortung künftig den Ländern.
Was das Gericht entschieden hat
Die Verfassungsbeschwerden mehrerer Fachärztinnen und Fachärzte aus der Intensiv- und Notfallmedizin hatten Erfolg. Sie hatten geltend gemacht, der neue § 5c IfSG greife unzulässig in ihre Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ein, indem er ihnen verbindliche Vorgaben für die Zuteilung überlebenswichtiger Intensivressourcen mache. Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt, weil dem Bund die entsprechende Gesetzgebungskompetenz fehle.
Fehlende Kompetenz des Bundes
Die Karlsruher Richter stellten klar, dass die Triage-Regelung kein Instrument zur Eindämmung oder Bekämpfung übertragbarer Krankheiten darstellt, sondern eine Regelung für die Folgen einer Pandemie. Damit fehle die Grundlage in Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG, der dem Bund nur die konkurrierende Gesetzgebung für Maßnahmen „gegen“ übertragbare Krankheiten zuweist. Die Vorschriften zur Triage seien aber nicht „gegen“ die Krankheit gerichtet, sondern regelten lediglich, wer im Falle knapper Kapazitäten behandelt werde – nicht wie eine Krankheit bekämpft werde.
Auch andere Kompetenzgrundlagen – etwa für die öffentliche Fürsorge, das bürgerliche Recht oder eine „Kompetenz kraft Natur der Sache“ – kommen nach Ansicht des Gerichts nicht in Betracht. Es sei Aufgabe der Länder, solche Allokationsregeln zu schaffen.
Hintergrund: Reaktion auf früheres Urteil
Mit § 5c IfSG hatte der Gesetzgeber auf ein früheres Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2021 reagiert. Damals hatte Karlsruhe entschieden, dass der Bund Vorkehrungen gegen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in Triage-Situationen treffen müsse. Der Gesetzgeber hatte daraufhin im Dezember 2022 erstmals gesetzlich festgelegt, nach welchen Kriterien Ärztinnen und Ärzte in Knappheitssituationen entscheiden sollen.
Konsequenzen der Entscheidung
Durch die Nichtigkeit von § 5c Absätze 1 bis 3 IfSG sind auch die übrigen Absätze (4 bis 7) hinfällig, da sie in engem Zusammenhang mit den materiellen Vorgaben stehen. Damit fehlt vorerst eine bundeseinheitliche rechtliche Grundlage für Triage-Entscheidungen.
Künftig dürften die Länder gefordert sein, eigene diskriminierungssensible Regelungen zu schaffen. Das Gericht betonte, dass es zwar wünschenswert sein könne, in solchen Ausnahmesituationen bundesweit einheitliche Vorgaben zu haben – rechtlich zwingend sei dies aber nicht.
Bundesärztekammer: „Gericht stärkt Freiheit der ärztlichen Berufsausübung“
Die Bundesärztekammer begrüßt den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: „Das Bundesverfassungsgericht betont in seinem Beschluss die ärztliche Therapiefreiheit und unterstreicht somit, dass medizinische Entscheidungen in Extremsituationen nicht durch bundesgesetzliche Vorgaben ersetzt werden dürfen. Der Beschluss stärkt die ärztliche Berufsausübungsfreiheit und stellt sicher, dass medizinische Entscheidungen auf Basis der medizinisch-fachlichen Beurteilung und der Situation der Patientinnen und Patienten getroffen werden können", erklärte Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Er sieht in der Entscheidung aus Karlsruhe einen „wichtigen Beitrag, um ärztliches Handeln in Grenzsituationen mit den Grundsätzen der Ethik, Menschlichkeit und Verantwortung sowie mit der medizinisch-wissenschaftlichen Evidenz in Einklang zu halten“.
Die Bundesärztekammer hatte dazu bereits im Jahr 2020 eine Orientierungshilfe veröffentlicht. Als zentrale Grundsätze benennt diese Orientierungshilfe die Patientenautonomie sowie das Prinzip der Gleichbehandlung allen menschlichen Lebens; als zentrale Entscheidungskriterien für die Einleitung und Fortführung einer Intensivtherapie werden Indikation, Patientenwille und klinische Erfolgsaussichten benannt. Daran müssen sich auch Priorisierungsentscheidungen bei nicht ausreichenden Ressourcen ausrichten; solche Entscheidungen können nicht starren gesetzlichen Vorgaben folgen, sondern erfordern stets eine Abwägung im Einzelfall.
Quelle: Bundesverfassungsgericht / Bundesärztekammer
bearb: KA
Fotos: U.Pohlmann/Tho-Ge / Pixabay
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