
Nach dem Kohleausstieg: So soll der Strukturwandel im Rheinischen Revier gelingen
30.05.2023Land NRW und Zukunftsagentur unterzeichnen zweiten Reviervertrag – IHK Köln bleibt skeptisch
Wie soll der Strukturwandel im Rheinischen Revier gelingen, wenn ab den 30er Jahren der Kohleabbau endet? Dies soll ein so genannter „Reviervertrags 2.0“ regeln, den die Landesregierung NRW und Mitglieder der Gesellschafterversammlung der Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH aus Jülich am Dienstag, 30. Mai 2023, in Mönchengladbach unterzeichnet haben.
Worum geht es?
Der Strukturwandel im Rheinischen Revier wird zwischen Bund, Land und Region gesteuert. Grundsätzliche Ziele und Zukunftsperspektiven wurden bereits im „Reviervertrag 1.0“ von 2021 festgehalten.
Bund und Land unterstützen die Transformation des Rheinischen Reviers mit 14,8 Milliarden Euro. Bislang sind 139 Projekte mit einem Fördervolumen von rund 1,37 Milliarden Euro bewilligt.
Mit dem Reviervertrag 2.0 sollen nun weitere und ergänzende Ziele und Maßnahmen festgelegt werden: „Diese große Aufgabe schaffen Politik, Gesellschaft, Industrie, Gewerkschaften und Verbände nur zusammen – gemeinsam setzen sie mit dem Reviervertrag 2.0 ein Zeichen für ein starkes und lebenswertes Rheinisches Revier, meint NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst: „Im Revier ist bereits einiges erreicht, aber allen Partnern in Region, Land und Bund ist bewusst, dass wir noch besser, vor allem noch schneller werden müssen. In den kommenden Jahren müssen weitere, sichtbare Schritte beim Umbau der Region gemacht werden. Es ist gut, dass der Reviervertrag 2.0 die anstehenden Aufgaben klar und deutlich benennt.“
Der Reviervertrag 2.0 soll „die Bedeutung von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Raumqualität und ökologische Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Rahmenbedingungen bei allen Maßnahmen der Strukturstärkung“ bekräftigen.
Ein Baustein des Reviervertrags 2.0 ist die Gestaltung der Tagebauumfelder. Landesregierung und Region vereinbaren, die Dörfer und Landschaften rund um die drei Tagebaue mit den Menschen „lebenswert zu entwickeln“.
Die Dörfer, die nun nicht mehr abgebaggert werden, erhalten eine sichere Perspektive“, sagt die Landesrgierung: „Über Jahrzehnte zerschnittene Landschaften können nun wieder zusammengeführt und als Heimat gestaltet werden.“
Dr. Tim Grüttemeier, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung, ergänzt: „Die Menschen im Rheinischen Revier haben in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass sie in der Lage sind, in Pionierarbeit eine starke Wirtschaft und ein verträgliches Zusammenleben zu organisieren. Und sie sind bereit, dies jetzt ein weiteres Mal zu tun. Das funktioniert allerdings nur, wenn staatliche Förderung von Land, Bund und EU zielgenauer ausgerichtet, Projektentwicklung, Bewilligung und Umsetzung beschleunigt werden. Wir benötigen unkomplizierte Förderinstrumente, die Unternehmen den Zugang zu Fördergeldern erleichtert – und zwar allen Unternehmen in allen Teilen der Region.“
Für die nächsten sieben Jahre sind „Wegmarken für 31 relevante Entwicklungsfelder im Strukturwandel in der Region festgeschrieben“, erklärt die Zukunftsagentur Rheinisches Revier GmbH. Dieser „Meilensteinplan“ wird in den nächsten Tagen auf den Webseiten beider Institutionen veröffentlicht.
Eine detaillierte Übersicht kann unter www.revier-gestalten.nrw/projekte abgerufen werden.
Kritik der IHK Köln: „Viele Innovationsprojekte, aber zu wenig Investitionen und Flächen“
Nicht alle Beteiligten sind so euphorisch. Die IHK Köln beispielsweise war bereits beim ersten unterzeichneten Vertrag skeptisch. Der Wirtschaftsinteressen-Verband sieht bislang kaum „messbare Erfolge“ und ist daher auch jetzt nicht optimistisch, dass es besser wird: „Bislang hat der Strukturwandel vor allem viel politische und verwaltungstechnische Energie gekostet, die in den Aufbau von Strukturen und die Orchestrierung der gewaltigen Summe von rund 14,8 Milliarden Euro Steuermitteln für den Strukturwandel im Rheinischen Revier geflossen ist", heißt es auf der Internetseite. "Entscheidend für den Erfolg des Strukturwandels im Rheinischen Revier wird aber sein, wie viel unternehmerische Energie in Form von Investitionen wirken kann und wird. Bislang sucht man nachhaltige und wertschöpfungsgebundene neue Arbeitsplätze in Unternehmen vergebens. Und als wenn das nicht schon genug Anlass zur Beunruhigung geben sollte, wurde gleichzeitig der Zeitdruck im laufenden Prozess erhöht."
Die Braunkohle-Kraftwerke werden durch wasserstofffähige Gaskraftwerke mit drei Gigawatt Leistung und durch Erneuerbare mit einem Gigawatt Leistung ersetzt – „damit fehlen vier Gigawatt Leistung, bei prognostiziert steigendem Strombedarf“, sagt die IHK Köln. „Wie die gesicherte Stromversorgung bei heutigem oder gar bei höherem Bedarf in der Zukunft aufrechterhalten bleiben kann, ist immer noch ungewiss. Denn beim Einstieg in eine gesicherte regenerative Stromerzeugung ist der Plan längst nicht so konkret wie beim Ausstieg. Dass die hoch gesteckten Ausbauziele so schnell erreicht werden können, bezweifeln viele mit Blick auf die zurückliegenden Erfahrungen. Die Energieversorgung der nahen Zukunft ist nur die eine große Unbekannte in der Zukunftsformel für das Rheinische Revier, vor allem mit Blick auf Investitionsentscheidungen, die Unternehmen schon heute treffen müssten.“
Der zweite Knackpunkt: „Es fehlt an zusätzlichen Flächen für die Unternehmensinvestitionen. Seit Start des Strukturwandelprozesses steht den Kommunen im Rhein-Erft-Kreis, denen es bereits vorher an Flächen für Ansiedlung und Erweiterung von Unternehmen fehlte, faktisch kein einziger Quadratmeter neuer industriell nutzbarer Flächen zur Verfügung. Dabei wäre jetzt lösungsorientiertes Handeln der Landesplanung gefragt.“
Die IHK kritisiert: „Statt unternehmerischer Energie gibt es im Rheinischen Revier bislang Innovations- und Infrastrukturprojekte. Keine Frage, auch die werden – neben Energie- Versorgungssicherheit, Fachkräften, Flächen sowie zügigen Planungs- und Genehmigungsverfahren – für einen erfolgreichen Strukturwandel benötigt. Dass diese jedoch keine unmittelbare Wirkung entfalten können, ist ebenfalls unbestritten.
Mehr über die Position der IHK Köln erfahren
Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: Herbert_2512/Pixabay
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