Gesundheitsminister Lauterbach will Patientenakten digitalisieren

10.03.2023

Was sagen Branchenvertreter und Patientenschützer?

Ob in der Arztpraxis, beim Therapeuten oder im Krankenhaus – in vielen Fällen gibt es die Akten der Patientinnen und Patienten noch in Papierform. Und bei einer Überweisung müssen diese dann umständlich hin und her übermittelt werden. „Deutschlands Gesundheitswesen hängt in der Digitalisierung um Jahrzehnte zurück. Das können wir nicht länger verantworten“, hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erkannt. „Deshalb machen wir einen Neustart und erschließen die elektronische Patientenakte für alle, machen das elektronische Rezept alltagstauglich und erleichtern die Forschung auf Grundlage von Gesundheitsdaten. Moderne Medizin basiert auf Digitalisierung und Daten. Ihre Vorteile zu nutzen, macht Behandlung besser.“

 

Sein Ziel: „Bis Ende 2025 sollen 80 Prozent der ePA-Nutzer, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen. Und bis Ende 2026 sollen mindestens 300 Forschungsvorhaben mit Gesundheitsdaten durch das neue Forschungsdatenzentrum Gesundheit realisiert werden.“

 

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Was ist geplant?

Das E-Rezept soll zum 1. Januar 2024 verbindlicher Standard in der Arzneimittelversorgung und die Nutzung stark vereinfacht werden und sowohl mit Gesundheitskarte als auch mit ePA-App eingelöst werden können.

 

Ungewollte Wechselwirkungen von Arzneimitteln sollen durch eine automatisiert erstellte, digitale Medikationsübersicht vermieden werden.

 

Die Gesellschaft für Telematik (gematik GmbH) soll zu einer Digitalagentur in 100% Trägerschaft des Bundes weiterentwickelt werden.

 

Assistierte Telemedizin soll in Apotheken oder Gesundheitskiosken angeboten werden können.

 

Behandlungs-Programme (DMP) sollen um stärker digitalisierte Programme ergänzt werden.

 

Ein interdisziplinärer Ausschuss, der u.a. mit Vertretern von BfDI, BSI, Medizin und Ethik besetzt sein wird, soll künftig die Digitalagentur bei allen Entscheidungen mit Empfehlungen zu Fragen des Datenschutzes, der Datensicherheit, der Datennutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten. Dies ersetzt den bisherigen Prozess der Einvernehmensherstellung mit BSI und BfDI.

 

Eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle soll den Zugang zu Forschungsdaten aus verschiedenen Quellen (z.B. Krebsregister, Krankenkassendaten) ermöglichen. Die Daten aber sollen dezentral gespeichert werden.

 

Die datenschutzrechtliche Aufsicht für länderübergreifende Forschungsvorhaben im Gesundheitswesen soll nur noch durch eine/n Landesdatenschutzbeauftragte/n erfolgen.

 

Auch die die forschende Industrie soll künftig, je nach Nutzungszweck, beim Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) beim BfArM Anträge auf Datenzugang stellen können. 

 

Die Datenfreigabe aus der elektronischen Patientenakte (ePA) soll vereinfacht und nutzerfreundlich in der ePA-App gesteuert werden (Opt-Out). Pseudonymisierte ePA-Daten sollen künftig zu Forschungszwecken automatisch über das FDZ abrufbar sein.

 

Die Digitalisierungsstrategie im Detail

Stiftung Patientenschutz fordert „differenzierten Datenschutz“

Wie so oft: Auch wenn das Anliegen gut und richtig ist – aber ohne Kritik geht es nicht.

So fordert beispielsweise der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, Nachbesserungen: Die vereinfachte Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA) für alle Patientinnen und Patienten ohne deren Zustimmung sei ein „sehr schlechter Weg“, sagte Brysch im Interview mit dem Fernsehsender phoenix.

Der Patient sei Besitzer der Daten und müsse deshalb selbst entscheiden können, wem diese Daten zugänglich gemacht würden. Es gebe gute Gründe etwa für HIV-Infizierte, ihrem Psychologen zu verschweigen, dass sie eine solche Infektion hätten, meinte Brysch: „Der Umgang mit den Daten muss differenziert sein.“

Er sei für eine umfassende Aufklärung, damit alle Menschen mitgenommen würden, sowohl Patienten als auch Ärzte, die „die Bremser im Gesundheitssystem“ seien. Für ältere Menschen, die kein Smartphone oder Internet hätten, müsse es einmal im Jahr Papierausdrucke der Akte geben. „All dies muss nachgebessert werden“, verlangte der Patientenschützer.

 

Er beklagte zugleich, dass die Einführung der EPA schon lange dauere: „20 Jahre haben schon Milliarden Euro gekostet, jetzt nochmal 20 Jahre warten, das wäre mir zu lang.“

 

Eine elektronische Akte sei außerordentlich sinnvoll. Sie enthalte einen Medikamentenplan, Informationen über Operationen und Therapievorschläge. Allerdings nutzten die Ärzte, mit denen er zu tun habe, die EPA noch nicht. Selbst in Krankenhäusern komme es trotz elektronischer Akten vor, dass die eine Abteilung nicht wisse, was die andere tue. „Da gibt es noch viel zu tun“, so Brysch im phoenix-Interview.

 

Deutsche Krankenhaus Gesellschaft unterstützt Digitalisierungsstrategie, fordern aber nachhaltige Finanzierung

„Die Deutsche Krankenhausgesellschaft unterstützt die Kernpunkte der Digitalisierungsstrategie des Bundesministeriums für Gesundheit ausdrücklich. Die Einführung einer Opt-Out-Lösung bei der elektronischen Patientenakte kann dazu beitragen, die Vorteile digital verfügbarer Dienste für die Versorgung greifbar zu machen“, erklärt Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). „Die Belange des Daten- und Patientenschutzes müssen dabei genauso Berücksichtigung finden, wie der Anspruch der Versicherten, die medizinische Versorgung unter Nutzung vorhandener Gesundheitsdaten laufend zu verbessern. Das gilt für die medizinische Versorgung des Einzelnen, wie auch für die Weiterentwicklung der Versorgungsforschung für alle. Daher begrüßen wir, dass die Gesundheitsdaten nicht nur in der elektronischen Patientenakte für die individuelle Versorgung der Patientinnen und Patienten genutzt werden sollen, sondern dass mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz auch die Grundlage für einen nationalen Gesundheitsdatenraum und die Nutzung für Forschungen und Innovationen geschaffen wird.“

 

Die DKG stellt aber auch Forderungen:

Voraussetzung für die Umsetzung der Opt-Out-Regelungen sei, dass die Versicherten umfassend über ihre Rechte und den Nutzen der Opt-Out-ePA und der Gesundheitsdatennutzung informiert werden.
Die elektronische Patientenakte müsse „benutzerfreundlich“ gestaltet werden und dabei technische Lösungen für alle Bevölkerungsgruppen anbieten. Unterschiedliche Nutzergruppen sollten daher bei der Konzeption frühzeitig eingebunden werden.

 

Zudem müssten die „finanziellen Grundlagen“ geschaffen werden, um die in der Digitalisierungsstrategie genannten Ziele umzusetzen. Gerade die Umsetzung der ePA verursache in den Krankenhäusern, bezogen auf Interoperabilität und Sicherheit der Daten, enormen Aufwand, so Gaß: „Die Mär, dass man mit Digitalisierung Geld sparen kann, ist angesichts des Fachkräftemangels und der mit dem KHZG enorm gestiegenen Kosten für digitale Lösungen im Krankenhaus schon heute widerlegt.“

 

Die Betriebskostenfinanzierung digitaler Lösungen sei nach wie vor ungelöst. „Gleichzeitig drohen noch immer Sanktionen, wenn bis Ende kommenden Jahres nicht alle gesetzlich geforderten Lösungen umgesetzt sind“, so die Position der DKG. „Der Verweis von Minister Lauterbach auf die Digitalisierung in Israel und den USA ist richtig. Eine mit diesen Ländern vergleichbare Finanzierung besteht in Deutschland dagegen nicht. Die Krankenhäuser in Deutschland blicken gespannt auf die Frage, wie die Umsetzung dieser Digitalisierungsbeschleunigung finanziell sichergestellt wird.“

 

CDU/CSU kritisiert „Doppelmoral“ und: „Wichtige Akteure werden ausgeschlossen“

Zur Digitalisierungsstrategie des SPD-Ministers Lauterbach äußert sich naturgemäß die CDU/CSU-Bundestagsfraktion kritisch.

 

Der gesundheitspolitische Sprecher Tino Sorge meint: „Die geplante vollständige Verstaatlichung der gematik – der nationalen Agentur für digitale Medizin – ist der endgültige Bruch mit den bisherigen Gesellschaftern, den Medizinern und Krankenkassen. Ausgerechnet diese sollen bei zukünftigen digitalen Tools außen vor bleiben, obwohl sie die eigentlichen Anwender sind. Der Bundesgesundheitsminister setzt bei der Digitalisierung seinen Weg fort, wichtige Akteure im Gesundheitswesen auszuschließen.
Was das Forschungsdatenzentrum angeht, so übt sich die SPD in Doppelmoral: Nun will sie der forschenden Industrie den Zugang zu Daten erleichtern, obwohl sie genau diese Forderung der Unionsfraktion in der Großen Koalition immer verhindert hat.“

 

Der zuständige Berichterstatter Erwin Rüddel ergänzt: „Die geplante Digitalisierungsstrategie des Gesundheitsministers ist nicht sonderlich ambitioniert. So soll die elektronische Patientenakte für alle erst bis Ende 2024 eingerichtet werden. Moderne Techniken wie Künstliche Intelligenz werden nicht einbezogen. Zielführend ist die geplante Neuordnung der Zuständigkeiten im Datenschutz. Umso wichtiger ist es, dass die angekündigten Gesetze jetzt schnell auf den Weg gebracht werden, damit es nicht wieder bei Ankündigungen bleibt.“

 

Bericht/Zusammenstellung: Achim Kaemmerer
Foto: StockSnap/G.Altmann / Pixabay / Collage: anzeiger24.de

 


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