Diskussion: Zurück zur Wehrpflicht?

Minister Pistorius will Bezug zur Gesellschaft herstellen – doch es herrscht viel Misstrauen

Wehrpflicht? Das klang bis vor kurzem noch anachronistisch.

Der Ost-West-Konflikt schien mit dem Berliner Mauerfall und der Deutschen Einheit überwunden. Schon in den 90er Jahren hieß es: „Wozu noch Bundeswehr? Wir haben ja ‚kein Feindbild‘ mehr.“

Statt dessen wurden Berufssoldaten zu Sondereinsätzen in Afghanistan, Mali etc. entsandt. Und 2011 wurde das Prinzip „Bürger in Uniform“ unter Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) komplett abgeschafft.

Währenddessen mehrten sich die Berichte über veraltete Ausrüstungen, fluguntüchtige Hubschrauber und zu wenig Munition.

 

Nun haben sich die Zeiten geändert. Der Krieg in der Ukraine hat einen Teil der Bevölkerung und die Bundesregierung wieder wachgerüttelt. Auf einmal sind 100 Milliarden Euro für die Nachrüstung der Bundeswehr möglich – wobei auch das wohl nicht reichen wird.


Und da meldete sich plötzlich der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung zu Wort.

„Unsere Parlamentsarmee gehört in die Mitte der Gesellschaft“, zitiert ihn das Blatt. Die Wehrpflicht habe geholfen, einen stärkeren Bezug zur Bundeswehr herzustellen.

 

Daraufhin erklärte Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes der Deutschen Bundeswehr, bei phoenix: die Abschaffung der Wehrpflicht sei „ein Fehler“ gewesen.

Als Bundestagsmitglied habe er gegen die Aussetzung der Wehrpflicht gestimmt, weil er davon überzeugt sei, dass Deutschland die Wehrpflicht für die Landesverteidigung benötigt. „Wenn wir nicht eine unheimlich große aktive Truppe haben wollen, um so ein großes Land wie die Bundesrepublik Deutschland zu verteidigen, dann brauche es eine starke, ich sag mal begrenzte Bundeswehr als aktive Truppe. Es braucht aber dann auch Aufwuchs-Fähigkeit mit Reservistinnen und Reservisten, die auch schon Kompetenzen haben, die sie durch die Wehrpflicht gewinnen“.

Ohne diese könne Deutschland nicht verteidigt werden. Zusätzlich würde dadurch auch das Abschreckungspotenzial auf andere Staaten geschwächt werden, mahnt der Verbandspräsident bei phoenix.

 

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Wie sinnvoll ist die Wehrpflicht überhaupt?

Es ist allerdings zeitnah kaum zu erwarten, dass die Politik jetzt in der Sache aktiv wird.
Bundesfinanzminister Christian Lindner verkündete bei Twitter: „Die Wehrpflicht steht für die FDP überhaupt nicht zur Debatte. Das ist eine Gespensterdiskussion. Alle Kraft muss darauf konzentriert werden, die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken.“

Die ZEIT schreibt: „Niemand braucht die Wehrpflicht“.

Bei der Deutschen Welle sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Hellmich: „Diese Debatte über die Wehrpflicht kommt immer mal wieder hoch, hat aber mit der aktuellen Realität nicht sehr viel zu tun. Zu welchem Zwecke soll die Wehrpflicht denn dienen? Das bedeutet Milliardenkosten für die Einführung oder die Wiedererrichtung von Strukturen, die alle weg sind. Und wir sind nicht auf dem Weg zu einer wehrpflichtigen Armee, sondern zu einer professionellen Armee.“

Es gäbe in der Tat viele Fragen zu klären, z.B.:

Was sollen Schulabgänger für den „Ernstfall“ lernen, wenn sie vielleicht gerade mal ein Jahr lang bei der Bundeswehr ausgebildet werden?

Was würde das kosten?

Müssten vielleicht sogar Frauen zur Wehrpflicht eingezogen werden?

Die Unterbringungen in den Kasernen und das ganze System müssten neu strukturiert werden. Und das gerade jetzt, wo der ganze „Laden“ erst einmal grundsätzlich „auf Vordermann“ gebracht werden muss.

Müsste dann wieder der Zivildienst als Ersatz bzw. das von Bundespräsident Steinmeier angeregte Pflichtjahr eingerichtet werden? 

Man könnte auch satirisch fragen, wie Oliver Welke in der heute show: "Wir brauchen keine schlecht gelaunten 18-Jährigen, die wissen wollen, wo es hier WLAN gibt."

 

Da hat die Bundeswehr aktuell wohl wichtigeres zu tun. 

 

Das sieht Verteidigungsminister Pistorius offenbar ähnlich. In dem benannten SZ-Gespräch sagte er außerdem, die Bundeswehr „lasse sich nicht einfach so zurückholen. Zunächst gelte es, die Bundeswehr so attraktiv zu machen, damit sich gute junge Leute bewerben. Er halte es für sinnvoll, dass man einmal in seinem Leben auf Zeit eine Pflicht für den Staat erfülle“. Er habe außerdem „ein Problem damit, jüngeren Generationen jetzt eine Pflicht aufzubürden“.

 

Der SPIEGEL ergänzt: "Er habe mitnichten die Wiedereinführung ins Gespräch gebracht, sagte Pistorius nun in der Feldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf. Er habe lediglich 'im Kontext einer Dienstpflicht im Allgemeinen' über die Wahrnehmung der Bundeswehr in der heutigen Gesellschaft gesprochen. In diesem Zusammenhang habe er gesagt, die Abschaffung sei ein Fehler gewesen. 'Und dabei bleibe ich auch'."

 

Umfrage: 59 Prozent der Befragten vertrauen Bundeswehr nicht

Es gibt außerdem noch ein anderes fundamentales Problem: „Das Vertrauen in die Bundeswehr ist auf einem historischen Tiefstand“, heißt es in einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap für den ARD-DeutschlandTrend.

Demnach gaben nur 35 Prozent von 1.328 befragten Wahlberechtigten an, „großes oder sehr großes Vertrauen in die Bundeswehr zu haben“; 59 Prozent dagegen hätten „wenig bis gar kein Vertrauen“.

Dies sei der „niedrigste Wert, der für die Bundeswehr seit 1998 gemessen wurde“, erklärt die ARD. 2020 hätten noch 59 Prozent erklärt, großes bzw. sehr großes Vertrauen in die Bundeswehr zu haben.

 

Das liege u.a. an der schlechten Ausstattung der Truppe sowie mit Berichten über Rechtsextremismus unter den Soldatinnen und Soldaten. „Dass die Bundeswehr mit ihren Bündnis-Partnern einen möglichen Angriff auf das NATO-Territorium abwehren könnte, trauen aktuell nur 38 Prozent der Bundeswehr zu. Eine knappe Mehrheit von 54 Prozent sagt, sie habe wenig bis gar kein Vertrauen“, heißt es weiter.

 

Bericht: Achim Kaemmerer
Foto: sharkolot/Pixabay

 


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